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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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Vorplatz und betrat dann durch den gedrungenen Halbbogen des inneren Eingangs die dunkle Halle. Die Luft war warm und roch ehrwürdig nach Holz und Wachs. Er setzte sich in eine der Seitenbänke. Langsam ließ er den Blick durch den Raum gleiten. In der vordersten Bank saß eine ältere Frau mit einem hellen Kleid und einem weißen Hut, die sich mit einem Fächer Luft zufächelte. Sonst war niemand zu sehen.
    Das Licht brach durch eines der Fenster hindurch und warf eine lange, staubdurchflimmerte Schneise in den Raum, durchsetzt mit roten und grünen Glaslichtern. Ein großes türkisfarbenes Tuch hing rechts von ihm von der Decke herab, unbewegt und sauber, als würde es jeden Morgen frisch gewaschen hier angebracht. Dahinter sah er die blauen Mosaiken, eine endlos ruhige Bewegung von tiefblauen Kreisen und Linien auf weißem Grund. Niemals schien es hier etwas anderes gegeben zu haben als diese erhabene Ruhe.

    Er war hellwach und spürte, wie die Erschöpfung der Reise von ihm abfiel. Er dachte daran, dass er früher nie begriffen hatte, warum ein Glück darin liegen konnte, an nichts zu denken, vollkommen ohne Worte zu sein, weder geschriebenen noch gesprochenen - doch jetzt, in diesem Augenblick, wünschte er sich, dass die Ahnung, die er von diesem Glückszustand erhielt, andauern würde, wenigstens noch ein paar Sekunden lang. Hier sein, nichts erinnern, keine Vergangenheit, keine Zeitungsnachrichten, keine an sich selbst gerichteten Erklärungen, warum er noch einmal auf diese Insel und zu diesem Haus gefahren war, keine Bilder von Explosionen und Feuerschwaden. Das leise, wiederkehrende Geräusch des Fächers war nun der einzige Ton in der Halle.
    Die Frau legte den Fächer zur Seite und hob vom Boden ihre Handtasche auf.
    Sie holte eine Kerze hervor, die sie auf ein kleines, behelfsmäßig angebrachtes Metallbord in einer Ecke stellte, das durch seine Neuartigkeit fremd wirkte. Es standen dort bereits einige andere abgebrannte Kerzenstümpfe. Fotos, Armbänder und Kettchen lagen daneben. Die Frau griff nach den Streichhölzern, die in einem kleinen Holzkasten am Boden lagen. Er schloss die Augen. Dann hörte er das zischende Aufflammen des Streichholzes.
    Das Hupen eines Autos riss ihn aus der Stille. Er stand auf und ging mit ruhigen, langsamen Schritten durch den Mittelgang hinaus in den Hof.

    Die Nachmittagssonne begann schwächer zu werden. Einer der Angestellten kehrte mit dem Besen Papiere vom Vorplatzboden fort. In der Ferne sah er die Straße, auf der er hergefahren war, ringsum lag die weite, sandige Ebene. Ein Transporter mit Wasserkanistern hupte erneut, damit das Abladen beginnen konnte.
    Er sah sich um und entdeckte die ältere Frau mit dem Fächer, die nun ebenfalls auf den Platz hinaustrat und sich eine große dunkle Brille aufsetzte. Sie wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
    Der Angestellte, ein älterer Mann in einem grauen Anzug, schien sie bereits zu kennen, denn er kam auf sie zu und begrüßte sie, indem er sich leicht verbeugte. Sie schien ihn etwas zu fragen, worauf er keine Antwort wusste, denn der Angestellte zuckte nur mit den Schultern und wies in Richtung des Parkplatzes. Ein alter, klappriger Bus bog in die Auffahrt ein. Die Frau lief, in ihrem hellen engen Kleid schnell trippelnd, in die Richtung der Haltestelle und verschwand dann im Inneren des Busses.
    Der Angestellte hatte den Besen zur Seite gelegt, trank einen Schluck Wasser aus einer Plastikflasche und kam auf ihn zu. »Sind Sie auch aus Deutschland?«
    »Sieht man mir das sofort an?«
    »Ich habe mittlerweile einen Blick dafür. Hab’ als Kind ein paar Jahre in Breslau gelebt. Meine Familie ist erst nach Marokko ausgewandert, später sind wir hierher gekommen.« Der Mann sprach mit einem
weichen, nasalen Tonfall. Auf seinem Kopf trug er eine kleine runde Kopfbedeckung, die er sich nun zurechtrückte. »Jedes Jahr kommen welche von den Familienangehörigen hierher. Diese Frau zum Beispiel kommt immer wieder, jedes Jahr im Herbst. Sie hat ihre Tochter hier verloren. Seit der Renovierung sind’s aber weniger geworden. Sind Sie auch wegen einer Familienangelegenheit hier?«
    »Nein.«
    »Ich sag’s Ihnen ehrlich, ich versteh’s nicht ganz. Was hat der Ort mit den Leuten zu tun? Das ist eine Synagoge. Sie zünden hier Kerzen an wie in einer christlichen Kirche. Man lässt’s halt durchgehen. Richtig ist es nicht. Man darf die Toten nicht am falschen Ort suchen. Es darf nicht alles in einen

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