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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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Mutter insgeheim darum ging, dass die Gespräche zwischen ihnen einsilbiger wurden, seitdem ich mehr und mehr mein eigenes Leben führte. Mein Vater interessierte sich nur für sein Schreiben, und meine Mutter litt darunter, dass er so wenig mit ihr sprach.
    Mein Vater reagierte gereizt, zog sich zurück und gab vor, erschöpft zu sein vom Unterrichten. Meine Mutter versuchte, die Ruhe zu bewahren, jedenfalls solange ich in der Nähe war. Es schien, als ob sie beide selbst nicht wüssten, was die Gründe für diese oft so plötzlich auftauchenden geisterhaften, immer wieder wild aufbrechenden Anfälle von Wut und Ablehnung zwischen ihnen waren. Hin und wieder sagte meine
Mutter mit leiser, unterdrückter Wut zu ihm: »Dann schlag du etwas vor, was wir ändern können.«
    Nachts hörte ich sie in dieser Zeit oft unten in der Küche streiten. Einmal bekam ich mit, wie mein Vater schrie: »Deine Schuldkomplexe kannst du woanders loswerden! Du hältst es einfach nicht aus, dass du nicht alles kontrollieren kannst.« Meine Mutter begann zu weinen. »Du bist dir ja deiner Sache so sicher.«
    Ich hörte, wie etwas auf den Boden geworfen wurde, ein Teller oder eine Tasse. Der schrille Knall von zerplatzendem Porzellan. Dann rief meine Mutter: »Weil du dein zweites Kind nie wolltest, interessiert es dich nicht, was danach mit uns passiert ist. Du bist ein elender Egoist!« Mir fielen die Tage am Bodensee wieder ein, als sie meine kleine ungeborene Schwester verloren hatte. Die Restaurantterrasse in Meersburg, der Teelöffel, um den sich erst langsam, dann immer heftiger die Hand meiner Mutter krampfte. Mein Vater, der nichts von ihren Schmerzen bemerkte, ging in das Restaurant, um die Rechnung zu verlangen, als sich meine Mutter plötzlich mit verzerrtem Gesicht die Hände auf den Bauch legte. Ich erschrak und fasste ängstlich nach ihrer Hand, als ich sah, wie sie in sich zusammensank und von ihrem Stuhl fiel.
    Nach drei Tagen im Krankenhaus wurde meine Mutter mit der endgültigen Bestätigung entlassen, dass sie das Kind verloren hatte und auch in Zukunft nie mehr welche bekommen würde. »Wir behalten sie in Gedanken lieb«, hatte sie mir damals auf der Rückreise im Auto ins Ohr geflüstert. Danach wurde
nie mehr über das Kind gesprochen. In der Nacht, als ich das Klirren hörte, dachte ich wieder an den Satz und ging hinauf auf mein Zimmer, verzweifelt darüber, dass mir diese beiden Menschen plötzlich wie Fremde erschienen.
    Am nächsten Morgen kam meine Mutter mit einem alten blauen Keramik-Kaffeepott die Treppen zu meinem Dachzimmer hochgestiegen. Ich hörte sie schon im Halbschlaf mit leisen Schritten Stufe für Stufe die enge steile Treppe heraufklettern. Ich drückte das Gesicht tiefer in mein Kissen und wartete, bis sich die Tür öffnete. Sie blieb in der Tür stehen, schwenkte ganz leicht den nach heißem Kaffee duftenden Pott und sagte mit einem Augenzwinkern: »Und in die Nase steigt mit Nasenflügelbeben ein Duft nach Frühstück und nach Leben.«
    Sie setzte sich zu mir aufs Bett, strich mir durch die Haare und fragte: »Bist du schon wach?« Ich hielt die Augen geschlossen. »Du bist wach.«
    Ich drehte mich zu ihr, ohne die Augen zu öffnen. »Maja, wir müssen dringend mal raus, woandershin, ganz neue Dinge sehen. Hättest du Lust?« Ich drückte ihre Hand. »Wir werden eine Reise machen, eine richtig weite Reise.«
    Es war ein Sonntag. Ein warmes, mildes Sonnenlicht fiel auf die Erde. Wir frühstückten, in warme Pullover eingehüllt, an dem Steintisch in unserem Garten, ein Garten mit alten Bäumen, darunter ein herrlicher Magnolienbaum, Rhododendrenbüsche und Beete mit Zitronenmelisse, Pfefferminze und Salbei.

    Mein Vater hatte neben den wild wuchernden Beeten, in der Nähe der Hecke, die das Grundstück vom Nachbargarten abtrennte, zwei Eisenstangen aufgebaut, zwischen die ein Netz gespannt war, sodass wir Badminton oder Volleyball spielen konnten. Er balancierte nach dem Frühstück den Federball ein paarmal lustlos auf dem Schläger, dann zwinkerte er mir zu, ging nach oben in sein Zimmer und vergrub sich in seine Geschichten. Ich legte mich ins Gras und genoss es, wie die Sonne meine Haut wärmte. Meine Mutter legte sich neben mich und sagte: »Maja, wir zwei müssen jetzt zusammenhalten.«
    Ich sagte nichts. Ich wollte allein sein, obwohl ich spürte, wie sehr sie in diesem Moment darauf hoffte, ich würde etwas sagen, das sie aus ihrer bedrückten Stimmung reißen würde. Ich öffnete die

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