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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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auf denen ein Milchglasstreifband mit dem Schriftzug »Berghaus« lief. Er sah sich um. Niemand machte sich bemerkbar.
    Er bestellte an der langen Bar einen doppelten Espresso und setzte sich in die Nähe des Fensters. Neben ihm lag eine Neue Zürcher Zeitung, in der er zu blättern begann. Sie hatten kein Zeichen verabredet, mit dem sie sich zu erkennen geben würde. Vielleicht war die Frau eine Angehörige von Personen, über die er geschrieben hatte. Es geschah zwar selten, aber manchmal gab es Versuche der Kontaktaufnahme von Angehörigen, wenn sie in Archiven einen Artikel über jemanden aus ihrer Familie fanden und sich über Ereignisse aus dem Leben des vermissten oder verlorenen Menschen neue Erkenntnisse zu verschaffen versuchten. Schwierig wurde es vor allem, wenn es
um verstorbene Personen ging, die in politische Konflikte verstrickt waren, oder um Menschen, die einen schlimmen Tod gefunden hatten. Waren die Artikel wohlmeinende Veröffentlichungen, galt der Verfasser zumeist auch gleich als vertrauenswürdige Person. Es hatte etwas Unheimliches, wenn es wegen eines längst vergessenen Texts zu Begegnungen mit wildfremden Menschen kam, die Fragen stellten, von denen sie glaubten, derjenige, der von seinem Beruf her mit »Informationen« umging, könne sie beantworten: ein Bote, der zum Teil der Botschaft wird.
    Oder war es am Ende nur ein dummer Scherz? Jemand aus der Redaktion? Im Grunde konnte man das ausschließen. Diejenigen, die ihn näher kannten, wussten, dass er Witze über das Thema Familienangehörige nicht komisch fand. Es gab in ihm einen tiefen Widerwillen gegen jede Form von Überraschungen, die sich auf persönliche Dinge bezogen. Begegnungen mit alten Freunden, arrangiert von anderen, Einmischungen in Geschichten, die nur zu einem selbst gehörten - entsetzlich.
    Er sah wieder auf die Uhr. Es war Viertel nach eins. Er fragte die Bedienung, ob jemand etwas für ihn abgegeben habe. Sie sagte, sie gehe nachfragen, ihre Schicht habe eben erst begonnen. Es waren kaum Leute im Café. Dennoch war es von Geräuschen erfüllt, als seien viele Menschen im Raum. An den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines alten Schweizer Bergchalets. Eine altersdunkle Holzbank, auf der eine schlafende Katze lag, ein langer,
schattiger Flur, in dem Mäntel und Jacken hingen, eine Terrasse mit Blick auf die weißen, fernen Gipfel der Alpen.
    In der Nähe der Tür saß eine Frau mit einem weißen T-Shirt und einer schwarzmaschigen Wollmütze auf dem Kopf; sie hielt den Blick gesenkt und blätterte in einer Zeitschrift. Offenbar wollte sie vermeiden, mit irgendjemandem Blickkontakt aufzunehmen. Er hatte mehrfach zu ihr hinübergesehen. Einen Augenblick lang hatte er überlegt, zu ihr zu gehen. Die Stimme am Telefon passte jedoch in keiner Weise zu der in ihre Zeitung vertieften Frau. Sie rührte nun mit dem Löffel in ihrer Tasse und blickte nach draußen. Die Kellnerin gab ihm vom Tresen aus ein Zeichen, dass nichts für ihn abgegeben worden war.
    Er wollte schon gehen, da bemerkte er, dass die Frau am Fenstertisch aufgestanden war. Sie trug die Zeitschrift zu dem kleinen Metallständer, in der die anderen Magazine lagen. Offenbar hatte sie beschlossen, sich zu erkennen zu geben.
    Sie griff nach ihrer Tasche und kam langsam zu ihm herüber. Ihr schmales Gesicht war ernst und zugleich von einer auffälligen Schönheit. Obgleich sie kaum geschminkt war, erschien das Gesicht wie eine klar konturierte Zeichnung. Die kleine Nase, die fast noch kindliche Stirn; lediglich die kurzen, unter der Wollmütze verborgenen Haare passten nicht zu der übrigen Erscheinung. Die Kopfbedeckung wirkte wie eine fremde Umhüllung des Gesichts. Die Frau, deren Alter schwer zu schätzen war - sie konnte aber kaum
älter als fünfundzwanzig Jahre sein -, sah ihn zögernd an, die Situation war ihr sichtlich unangenehm. Sie legte ihre Hand auf die Stuhllehne, als sei der Stuhl ein notwendiger Schutz oder vielmehr ein Halt, eine unüberbrückbare Grenze zwischen ihr und ihm, die sich zufälligerweise ergeben hatte.
    »Wir haben miteinander telefoniert.« Er nickte ihr zu.
    »Setzen Sie sich doch, oder wollen Sie im Stehen mit mir reden?«
    »Sprechen Sie bitte nicht so mit mir.«
    »Wie spreche ich denn mit Ihnen?«
    Ein kurzes verzweifeltes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
    »Sie haben sich nicht verändert.«
    Ihre Stimme war konzentriert und freundlich, obgleich er merkte, mit welcher Nervosität sie sich ihm näherte. Sie setzte

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