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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Wahrheit zu sagen: Ich habe schon ein Mädchen im Auge. Wenn ich nun diesen Mordfall lösen könnte, würde das natürlich einen gewaltigen Eindruck auf sie machen.«
    »Wen hast du im Auge?«
    »Nein, nein, das sage ich nicht, das darfst du erst wissen, wenn schon was ist zwischen ihr und mir. Aber soll ich dir mal was sagen: Dieses Getue zwischen Männern und Frauen, das sorgt zu neunzig Prozent für allen Ärger auf dieser Welt, das steckt fast überall dahinter, vielleicht sogar auch hinter diesem Mord an Vroombout. Es kommt darauf an, daß du von Anfang an das richtige Mädchen wählst, dann kannst du dir eine ganze Menge Scherereien sparen. Ich weiß schon seit dem Kindergarten, wen ich haben will, ich beobachte sie schon seit zwölf Jahren, und ich weiß immer noch ganz sicher: Das ist sie! Allerdings wird es nun allmählich Zeit, daß ich mich um sie kümmere, denn sie sah bis jetzt Gott sei Dank immer sehr fade aus - trutschige Kleider und Triefnase und diese blöden Schleifen im Haar und hellblaue Kniestrümpfe - , aber auf einmal sieht man, wie sie sich verändert, sie fängt an, hübsch zu werden, neulich beobachtete ich, wie irgendwelche Typen sich nach ihr umguckten. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie noch etwas gewartet hätte mit dem Gutaussehen, ich habe eigentlich erst noch so viele andere Dinge zu tun, aber na ja, ich werde doch jetzt was unterne hmen müssen, ich habe keine Lust dazu, sie aus den Armen eines andern loszueisen.«
    »Meinst du denn, daß sie dich auch haben will? Meinst du, daß sie dich nett findet?«
    »Sie braucht mich überhaupt nicht nett zu finden. Warum sollte sie? Ich bin brillant, aber nett oder charmant bin ich nun überhaupt nicht. Sie muß begreifen, daß ich sie haben will, und damit muß sie einverstanden sein. Übrigens: Sie weiß bereits, daß ich sie haben will.«
    »Woher weiß sie das?«
    »Ich habe es ihr schon im ersten Jahr im Kindergarten gesagt.«
    »Na, aber das gilt doch jetzt nicht mehr, ach komm... damals warst du vier.«
    »Ich war damals drei. Und es gilt noch immer.«
    »Dann würde ich es ihr aber bald sagen...«
    »Werd ich machen.«
    Wir gingen über die Bahnschienen, und er sagte: »Noch kurz was anderes. Ich lese jetzt die Bibel zum zweitenmal, diesmal habe ich von vorn angefangen, und gestern abend las ich in Genesis 6, Vers 6: ›Da reute es den Herrn, daß er den Menschen geschaffen hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn tief.‹ Und einen Vers weiter steht sogar, daß er selber sagt, es reue ihn, daß er den Menschen gemacht habe. Kann Gott Reue empfinden? Meiner Meinung nach empfindest du Reue, wenn du etwas Falsches getan hast. Wenn Gott also Reue empfunden hat, folgt daraus, daß er etwas Falsches getan hat. Aber kann Gott etwas falsch machen? Das ist die Frage.«
    »Weißt du bestimmt, daß da steht, Gott reute es?«
    »Sieh selbst nach, es steht sogar dreimal da.«
    »Gott... Gott? Reue... nicht, daß ich wüßte...«, sagte ich zweifelnd.
    »Sieh lieber erst mal nach«, sagte er, »dann reden wir wieder darüber. Vielleicht ist es auch ein gutes Zeichen, daß Gott Reue empfinden kann, vielleicht ist er ja menschlicher, als wir denken, vielleicht empfindet er wirklich Reue darüber, daß er die Welt so aberwitzig g eschaffen hat. Und jetzt probieren wir aus, wer von uns beiden am längsten einen Stein vor sich her schießen kann, wenn wir am Hafen entlanglaufen.«
    Während er sein Steinchen ausgelassen weiterstieß und ich meins immer nur schnell antippte, erreichten wir den Ankerplatz des Lotsenbootes, der Sirius. Mein kleiner Stein verschwand neben der Sirius mit einem Plumps im Wasser, während er seinen behielt, bis wir bei ihm zu Hause waren.
    »Schon wieder gewonnen«, sagte er, »siehst du wohl, daß ich brillant bin? Warte, ich hab eine Idee, wenn wir jetzt gleich, während wir im Erker Tee trinken, in aller Ruhe noch mal von Vroombout anfangen. Dann gehen wir alles noch einmal durch. Und ich beobachte dabei meine Mutter ganz genau.«
    Kurz danach saßen wir da, den dampfenden Tee vor uns, mit dem Blick auf den Fluß, der übermütig und silbrig im Licht des Halbmonds glänzte.
    »Kannst du Samstag eine halbe Stunde früher zum Unterricht kommen?« fragte seine Mutter. »Ich habe Gäste zum Essen, also muß ich...« »Wer kommt zum Essen?« fragte Herman. »Minderhout und seine Frau.« »Pfui Teufel«, sagte William. »Aha, Minderhout«, sagte Herman, »jetzt, wo du's sagst... der war doch auch dabei?« »Wobei?« fragte

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