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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Basaltblöcke, sagte gut gelaunt: »Da siehst du, wie günstig es ist, daß ich mit meinem Bruder getauscht habe und reformiert geworden bin. Sonst wäre das auch noch ein Problem, wenn ich nun evangelisch und sie reformiert wäre, dann müßte man sich da auch noch etwas ausdenken. Leider gefällt es meinem Bruder auch bei den Evangelischen überhaupt nicht, der leidet unter Pubertät und Pickel, nicht zu glauben.«
    Auf dem Fluß fuhr die Sirius. Ich sagte: »Da hinten geht Nachbar Varekamp.«
    »Varekamp? Oh, warte, der wohnt bei dir um die Ecke in der Cronjéstraat«, sagte Herman.
    »Ja«, sagte ich, »komische Leute, essen prinzipiell keine Blutwurst.«
    »Die Kinder sieht man immer im Schwimmbad«, sagte Herman. »Der Älteste, Leen heißt er, glaub ich, das ist vielleicht ein Ekel. Weißt du übrigens, was ich denke: Daß dieser Leen - aber behalte es für dich, du, sag nie jemandem, daß ich dir das gesagt habe -, daß dieser Leen von einem Kanadier ist.«
    »Von einem Kanadier?«
    »Ja, dieser Leen sieht seinen drei Brüdern kein bißchen ähnlich. Und er sieht auch seinem Vater kein bißchen ähnlich, er ist groß und blond und träge, und sein Vater ist dunkel und klein und muskulös, und seine Brüder sind auch so dunkle, kleine, muskulöse Ekel.«
    »Nun ja, aber... ich sehe meinem Vater doch auch nicht ähnlich?«
    »Vielleicht bist du auch von einem Kanadier?«
    »Also komm, ich bin im Krieg geboren.«
    »Dann bist du vielleicht von einem englischen Piloten, der hier untergetaucht war. Von so einem scheine ich auch zu sein. Und mein Bruder auch. Nur wird mein Bruder wohl von einem anderen Piloten sein, er ist ein solcher Langweiler.«
    »Ich bin nicht von einem Piloten. Mein Vater und meine Mutter haben niemals Leute bei sich versteckt.«
    »Haben sicher zuviel Schiß gehabt, was?« »Nein, viel zu sparsam und wohnen viel zu beengt«, sagte ich.
    »Als wenn meine Mutter nun gerade so viel Platz hätte da oben in ihrer Wohnung.«
    Ich antwortete nicht. Ich dachte an all die Abende, an denen ich bei der Familie Varekamp die Zeitung geholt hatte. Jeden Abend hatte ich Leen, meistens im Dunkeln, am Tisch sitzen sehen. Daß er anders als seine Brüder und sein Vater aussah, hatte ich jahrelang jeden Abend bemerkt. Warum war ich nie auf den Gedanken gekommen, den Herman da gerade eben sorglos ausgesprochen hatte? War ich denn so naiv, so dumm? Oder war Herman wirklich brillant? Oder fehlte mir trotz all der Zehner beim Zulassungsexamen irgendeine Art von Schläue, etwas, das für die gassies und goser selbstverständlich war? Um den vagen Kummer über diesen Mangel an Schläue - und dieser Kummer haftet mir noch immer an; mir ist im Laufe der Zeit klargeworden, daß ich, so helle ich auch bin, doch verblüffend unbedarft bin und bleibe -, also gut, um diesen Kummer zu überdecken, fragte ich: »Wie ist das damals eigentlich mit Minderhout ausgegangen?« »Mit Minderhout?«
    »Ja, der sollte zu euch zum Essen kommen, und dabei wolltest du fragen, warum er eigentlich bei der Kreuzzugs...«
    »Ist nichts draus geworden.« »Wie schade, ich dachte, daß du vielleicht...« »Noch etwas erfahren hätte über diesen Mord? Nein, absolut nicht, meine Mutter hat den ganzen Abend mit ihm über Musik geredet, da kam ich überhaupt nicht zu Wort.«
    »Und deine Mutter, weißt du schon mehr von deiner Mutter? Sie hatte doch etwas damit zu tun, jedenfalls deiner Meinung nach.«
    »Ja, das dachte ich damals, das dachte ich, weil sie so oft aus dem Fenster nach draußen starrte, aber das war nur aus Sorge um meinen Bruder. Nein, meine Mutter hat nichts damit zu tun. Es ist schon wieder ein halbes Jahr her, ich habe es, ehrlich gesagt, scho n beinahe vergessen, seitdem ist wieder so viel passiert, ich habe ein Mädchen... Jesus, ich habe ein Mädchen!«
    »Liest du noch manchmal in der Bibel?« fragte ich.
    »Ja, gut, daß du danach fragst, wir sprachen über Gottes Reue, weißt du noch? Und was steht im Buch Samuel: ›Gott läßt sich's nicht gereuen; denn er ist kein Mensch, daß er sich's gereuen ließe.‹ Aber kurz danach heißt es: ›Da es nun den Herrn gereute, daß er Saul zum König über Israel gemacht hatte...‹, Gott kann keine Reue haben und hat doch Reue. Das verstehe ich überhaupt nicht. Und weißt du, was mir neulich aufgefallen ist: In der Bibel kommt der älteste Sohn immer am schlechtesten weg, immer ist er der Dumme. Das fängt schon bei Kain und Abel an, Kain ist der Älteste, dann Esau und Jakob,

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