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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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seine Mutter. »Bei diesem Evangelisationstreffen. Das paßt ja gut, da kann ich ihn selber fragen, warum er da auch zugehört hat.« »Wenn du dir das doch endlich aus deinem dicken Schädel schlagen würdest«, sagte seine Mutter heftig - »Na, aber...«
    »Kein Aber, ich werde verrückt, völlig verrückt, wie du den lieben langen Tag davon redest, daß sie diesen Mann ermordet haben. Und dann noch mit einer solch überheblichen Miene: Ich werde euch mal eben sagen, wer es gewesen ist. Als wäre das, womit die Polizei sich nun seit Monaten beschäftigt, Kinderkram. Als ob so eine Rotznase wie du...«
    William stand auf und ging leichenblaß aus dem Zimmer. Seine Mutter schaute ihm entsetzt nach, stand auf, setzte sich ans Klavier und spielte den langsamen Satz aus der Sonate Pathétique von Beethoven (Vgl. dazu »Kleines Brevier zum Mit- und Nachhören für die Leserinnen und Leser dieser Ausgabe«, S. 342 ff. (Anm. d. Verlags)). Und während ich dort saß und über den dunklen Fluß mit den vielen Schiffen schaute, von denen nur die roten Lichter am Mast und die grünen Bordlampen zu sehen waren, und ich leidenschaftlich den Augenblick herbeisehnte, daß ich selbst die Musik von Beethoven würde spielen können, sah ich, wie Herman immer wieder mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn umfaßte und dann seine Hand nach vorn bewegte, wodurch sein Kinn wieder frei wurde. Darüber glänzten seine Augen, und bei jedem der folgenden Takte sah ich ein kleines Lachen um seine Lippen. 

Übergang
     
    Eine Woche nach der Szene im Erker war Pastor Dercksen krank. Der Konfirmandenunterricht fiel aus. Daher fiel auch unser Spaziergang am Hafen aus. Als ich Samstag nachmittag zu seiner Mutter zum Unterricht kam, war Herman nicht zu Hause. Am darauffolgenden Montag war Pastor Dercksen noch immer krank. Natürlich hätte ich bei Herman vorbeigehen, bei ihm klingeln können, aber unsere Freundschaft - soweit man überhaupt von Freundschaft sprechen konnte - gab es immer nur an diesen Montagabenden. Ich scheute davor zurück, ihn, der nun einmal soviel älter war als ich und schon aufs Gymnasium ging, einfach zu besuchen. Geduldig wartete ich, bis ich ihn zufällig wieder zu sehen bekommen würde, aber Pastor Dercksen blieb krank, und wenn ich zur Klavierstunde kam, traf ich ihn nie zu Hause an. Als ich, nach meinen Tonleitern und einer Etüde von Heller, seine Mutter einmal vorsichtig fragte: »Wo ist Herman eige ntlich?«, sagte sie: »Der? Der ist hinter irgendeiner dummen Göre her.« Während ich die Etüde von Heller wiederholte, sagte sie: »So jung, und dann schon... na, ich hoffe, daß du vernünftiger sein wirst, es wäre eine Sünde, wenn auch du deine ganze Zeit... gerade jetzt, wo du so gut vorankommst. Es ist ein Jammer, daß du nicht seit deinem vierten Jahr ordentlich Unterricht gehabt hast, aber wir werden es noch recht weit bringen. Du spielst zwar noch wie ein Hund am Strand, aber nun wie einer, der brav apportiert. Vielleicht kannst du dich schon bald an Beethoven wagen.«
    Sie wußte, daß ich Beethoven - den Komponisten für Kinder und Greise - wie einen Gott verehrte, und oft spielte sie, wenn ich zur Stunde kam und mir mit Hilfe der Schnur, die auch dort aus dem Briefkasten hing, Einlaß verschafft hatte, eine der Sonaten von Beethoven. An einem Samstag im Juni jedoch hörte ich, als ich die Treppe hinaufstieg, kein Klavierspiel. Oben angekommen, sah ich sie im Erker stehen. Offensichtlich hatte sie mich nicht gehört. Sie sah nach draußen über den Fluß, dessen kleine, ruhige Wellen im Sonnenlicht glänzten. Sie redete laut mit sich selbst. Sie sagte: »Wie ist das um Gottes willen möglich? Zufall? Ist das Zufall? Wie ist es um Gottes willen möglich? Als setzt irgendein Idiot da oben alles daran, mich in die Knie zu zwingen.«
    Sie ballte ihre linke Faust. Merkwürdig, daß ich mich daran noch so gut erinnere: Sie ballte ihre linke Faust, obwohl sie doch Rechtshänderin war. Vorsichtig ging ich zurück in den Hausflur. Mucksmäuschenstill schlich ich mich ein paar Stufen hinunter und kam dann stampfend wieder nach oben. Sie wartete schon neben dem Flügel, begrüßte mich herzlich, und dieses Mal durfte ich mein erstes Stück von Beethoven spielen: das Menuett aus der Siebten Sonate, das Menuett, an dem ich mir die Finger wundgespielt habe und das für immer mit ihrem rätselhaften Monolog und mit jenem Sommer verbunden bleiben wird. Es ist, als stelle Beethoven in den ersten Takten des Menuetts eine

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