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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Augenblick, blickte sich um und sagte dann: »Dieses ›Es heißt nein‹ finde ich, ehrlich gesagt, ein bißchen dumm. Und daß man von Blut sauber werden könne, scheint mir fragwürdig. Blutflecken, sagt meine Mutter immer, sind gerade die gemeinsten Flecken.«
    »Ja, aber das mußt du auch nicht wörtlich auffassen«, sagte Pastor Dercksen.
    »Oh, ein Glück«, sagte Herman. »Bin ich froh, daß ich reformiert geworden bin.«
    Nach dem Konfirmandenunterricht kam Herman auf mich zu. Er sagte: »Du wohnst doch auch im Hoofd, nicht? Wollen wir nicht zusammen zurückgehen?«
    Zwei einfache, kurze Sätze! Mit zwölf Wörtern veränderte er mein ganzes Leben. Wir liefen nebeneinander über die Havenkade zurück. Es war still und neblig. Das Wasser glänzte ölig. Von der anderen Seite, wo in der Fabrik De Ploeg Arbeiter der Spätschicht kaltgeschlagenes Öl herstellten, wehte ein strenger Geruch.
    Er sagte: »Ich bin dabei, die Bibel jetzt ganz durchzulesen, denn ich will genau wissen, wofür ich mich entscheide, wenn ich Christ werde. Ich muß dir ehrlich sagen: Ich finde es ein merkwürdiges Buch, aber ich hab es noch nicht durch, solange warte ich noch mit meinem Urteil.«
    »Wie weit bist du?«
    »Oh, bei Maleachi, aber ich habe, ehrlich gesagt, von hinten angefangen, ich lese Bücher immer verkehrt herum. Wenn man weiß, wie ein Buch ausgeht, liest man genauer und geduldiger. Meine Mutter sagt immer, daß ein guter Schriftsteller mit dem Schluß beginnt, warum also soll nicht auch der Leser mit dem Schluß anfangen?«
    »Dann hast du das ganze Neue Testament also schon gehabt?«
    »Natürlich, und ich muß sagen: Den Schluß kannst du glatt vergessen. Was für ein Unsinn. Visionen, aus denen man überhaupt nicht klug werden kann. Und vorher gibt es auch vieles, was ich nicht verstehe, aber bevor ich mir das erklären lasse, will ich die Bibel erst mal ganz durchlesen. Ich hoffe, daß ich dann alles, was ich nicht verstehe, mit dir besprechen kann. Aber ich will erst etwas anderes mit dir besprechen, dieser Mord... du warst dabei, du hast es gesehen...«
    »Ich habe nichts gesehen, ich habe nur einen Knall gehört und habe mich erst später umgedreht. Da sah ich einen Mann...«
    »Mit einem Schlapphut auf und einem Schal vor dem Mund, das stand in der Zeitung, das weiß ich also, aber weißt du, was ich überhaupt nicht verstehe: Daß meine Mutter diesen Kerl nicht gesehen hat. Meine Mutter sieht absolut alles, die sieht sogar Dinge, die hinter ihrem Rücken passieren. Also, sie hat da gestanden und nichts gesehen. Zumindest sagt sie das. Gut, reden wir jetzt mal nicht mehr darüber, denn so unwahrscheinlich es auch ist, noch viel unwahrscheinlicher ist es, daß sie dort stand. Was hatte sie da zu suchen? Meine Mutter bei einer Zusammenkunft, wo ein Kerl auf einer Gemüsekiste von der Bibel schwärmt! Wo sie so was wer weiß wie haßt! Und das ist noch nicht alles! Danach wird sie auch noch Mitglied einer Kirche... na ja, das begreife ich eigentlich noch, sie hat immer schon davon geredet, daß wir Gott nicht vergessen sollen... vielleicht war das der letzte Anstoß.«
    Vor den Bahnschranken mußten wir warten. Ein dunkler Güterzug fuhr vorbei, die Schranken wurden hochgekurbelt, wir gingen über die Schienen, und ich sagte: »So, gleich muß ich nach links.«
    »Mußt du wirklich schon nach Hause?« fragte er. »Hast du nicht Zeit, eben mit zu mir zu kommen? Ich würde dich gern meiner Mutter vorstellen. Dann sag ich: Das ist der Junge, der da in dem Lagerhaus gespielt hat... Ich bin so neugierig darauf, wie sie dann guckt. Meiner Meinung nach... meiner Meinung nach weiß sie mehr darüber, meiner Meinung nach hat sie irgendwie etwas damit zu tun, sie war so verschreckt, als sie an dem Nachmittag nach Hause kam. Und diesem Wiedergläubig-Werden traue ich auch nicht: Als ob sie sich auf einmal schuldig fühlt und darum nun zur Kirche rennt.« Schweigend liefen wir rechts von der abgezweigten Bahnlinie entlang durch den tiefer gelegenen Teil des Hafens in Richtung Veerhoofd. Als wir fast bei ihrer Wohnung, die im oberen Stock lag, angekommen waren, sagte er: »Ich bin vierzehn, ich sehe mir also alles gerade erst an, ich habe überhaupt noch kein Recht mitzureden, und doch, weißt du... ich finde das Leben so unglaublich bizarr, es ist wie ein Schachspiel mit falschen Figuren und viel zu vielen Feldern, es ist genau so, als müßtest du auf einem Damebrett Schach spielen. Nun, wir sind da, komm mit rein.«
    Ich

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