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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Zeitungsausträger bekommst, auch in zehn Jahren bezahlen, oder wer weiß wann. Sich so durchzuwursteln ist jedenfalls unverantwortlich, das kann ich nicht mitansehen. Wenn du kommst, bring das deutsche Buch mit, das möchte ich mir doch gern einmal anschauen.«

Herman
     
    In jenem Frühjahr konnte ich überhaupt nicht verstehen, daß ein Junge wie Herman, der älter war als ich und aufs Gymnasium in Vlaardingen ging, mit mir etwas zu tun haben wollte. Herman, zu Hause »Hörmen« genannt, hatte keinen Vater, und alle halbe Stunde kräuselte dieser Nerventick sein Gesicht, und er mußte sein Brillengestell wieder hochschieben. Trotzdem war er für mich jemand, der mir weit überlegen war. Und er schämte sich nicht, mit mir gesehen zu werden. An den Montagabenden nach dem Konfirmandenunterricht gingen wir immer zusammen über die Havenkade zum Hoofd. An all den stillen Frühlingsabenden philosophierte er über den Mord an Vroombout oder über die Bibel. Offensichtlich waren dieser Mord und das Wort in seiner Vorstellung unverbrüchlich miteinander verbunden.
    »In der Bibel werden erstaunlich viele Morde begangen«, sagte er an einem der Abende, »es beginnt schon bei Genesis 4, Kain und Abel, und dann geht es immer so weiter, aber der schönste Mord ist der von Jael an Sisera - sie nagelt ihn mit einem Zeltpflock durch seine Schläfe am Boden fest, phantastisch - , ja, es ist ein prächtiges Buch, die Bibel, vor allem in der ersten Hälfte, bis Ezra ist es glänzend, ich wollte, ich hätte es eher gelesen. Aber gut: Jetzt noch mal zum Mord an Vroombout. Was du aus der Bibel lernen kannst, ist, daß Morde meistens entweder aus Eifersucht - denk an Kain - oder aus Rache - denk an diese Jael - verübt werden.«
    »Du kannst doch auch jemanden töten, weil du sein Geld haben willst?«
    »Das ist in diesem Fall ausgeschlossen. Vroombout ist nicht ausgeraubt worden, das weißt du selbst. Nein, das Motiv ist wahrscheinlich Eifersucht oder Rache.«
    »Graswinckel dachte an Eifersucht.« »Ja, das hast du mir schon erzählt, aber ich kann es mir nicht vorstellen, daß jemand einen anderen wegen irgendeinem lächerlichen gassie tötet, das steht nun wirklich nirgends in der Bibel.« »Es steht noch mehr nicht in der Bibel.« »Hast recht, aber was Mord angeht, ist die Bibel kaum zu schlagen, schon allein, wie dieser König David gehaust hat, der hat wahnsinnig viele kaltgemacht!«
    Während wir dort gingen, wurden wir von dem Gestank der geteerten Taue und geölten Ankerketten eingenebelt, und mißmutig dachte ich: Wäre nicht dieser Mord hinter meinem Rücken geschehen, hätte er sich nie für mich interessiert.
    »Denkst du wirklich«, fragte ich, »daß du dahinterkommst, wo die Polizei laut Zeitungsbericht bis heute noch keinen einzigen Anhaltspunkt hat, wer es gewesen sein könnte? Und warum willst du das so unbedingt wissen?«
    »Ich bin nun einmal in einem Alter, in dem man Detektivromane liest«, sagte er vergnügt. »Ich würde auch gern einen Mord aufklären, wie es in den Büchern von Van Eemlandt oder Agatha Christie vorkommt. Ach, aber Unsinn natürlich, ich kann das überhaupt nicht, es ist nur, weil ich immer das Gefühl habe, daß meine Mutter etwas damit zu tun hat oder darin verwickelt ist und ich...«
    »Als du mich ihr vorgestellt hast, habe ich nichts Besonderes bemerkt.«
    »Nein, sie hielt sich gut, ich habe da auch angefangen zu zweifeln. Aber sie blickt in der letzten Zeit manchmal wie geistesabwesend vor sich hin. Und sie macht das Licht abends erst an, wenn ich mit meinen Schulaufgaben fertig bin und herunterkomme. Dann hat sie, denke ich, schon eine ganze Zeit im Dunkeln aus dem Fenster auf den Fluß gestarrt. Warum tut sie das? Was ist mit ihr los? Es kann auch sein, daß sie sich um meinen Bruder Sorgen macht. Wie findest du ihn eigentlich?«
    »Er ist sehr still, man kommt nicht so dahinter.«
    »Das kannst du wohl sagen!«
    Herman raste plötzlich weg, stieg die Treppe zur Kippenbrug hinauf, drehte sich, oben angekommen, zu mir um und deklamierte: »Mein Bruder nähert sich jetzt wie du der berüchtigten schwierigen Lebensphase, die wir die Pubertät nennen. Diese Phase voller Unsicherheit und Selbstquälerei, voller Pickel und gärender Sexualität. Diese Phase, in der ich bereits mittendrin bin, und darum wird es allmählich Zeit für eine liebliche kleine Freundin.«
    Er kam wieder von der Brücke herunter, puffte mich ein paarmal freundschaftlich in den Rücken, sagte dann: »Um dir die

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