Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
Vom Netzwerk:
sah man einige Gestalten in dunklen Badeanzügen mit viel zu langen Beinen.
    »Der kann es sein«, sagte ich und zeigte auf den längsten Mann in der Gesellschaft der Badenden. Wahrscheinlich sagte ich das nur, um Douvetrap einen Gefallen zu tun.
    »Der?«
    »Ganz vielleicht«, wich ich vorsichtig zurück.
    »Dann müssen wir mal herausfinden, wer das war«, sagte er.
    »Danach können Sie meine Lehrerin fragen«, sagte ich.
    »Werd ich machen«, sagte er, »kann ich jetzt sofort machen.«
    »Ich komme mit«, sagte ich, »denn ich habe gleich Klavierstunde.«
    So liefen wir kurze Zeit später durch die President Steynstraat und die De La Reystraat. Am Veerhoofd angelangt, bogen wir nach rechts ab, obwohl das Mongölchen nach links wollte. Es schrie und versuchte, seinen Vater mit zum Fluß zu ziehen. Auch als wir im Haus meiner Klavierlehrerin die Treppe hinaufstiegen, schrie es noch, und in dem Augenblick, als sein Vater meiner Klavierlehrerin das Foto geben wollte, zerrte es ihm den Schnappschuß aus den Fingern und riß es mittendurch. »Gottverdammich«, rief sein Vater. Die beiden Hälften wurden aneinandergelegt; meine Klavierlehrerin schaute kurz darauf und sagte: »Woher haben Sie das Foto?«
    »Darüber darf ich im Interesse der Ermittlungen nichts sagen«, sagte Douvetrap.
    »Es ist im Krieg aufgenommen worden«, sagte meine Lehrerin, »im Sommer 1942., wenn ich mich recht entsinne, ich war damals mit einer ganzen Clique nach Hoek geradelt, sehen Sie, da ist Simon...« Sie zeigte auf einen Schwimmer, der auf dem Rücken liegend fotografiert worden war.
    »Und wer ist dies?« fragte Douvetrap und zeigte auf den langen Mann.
    »Das ist ein Studienfreund von Simon«, sagte sie. »Der war damals, wenn ich mich recht erinnere, auf Rozenburg untergetaucht. Ich glaube, daß der Mann später aufgegriffen worden ist, aber da bin ich mir nicht sicher. Oder ist es der Mann, der später Professor geworden ist, ja, der ist es, glaube ich, Bram hieß er, Bram Edersheim.«
    »Wah, wah, wah«, schrie das Kind und zeigte auf den Fluß.
    Es riß sich von seinem Vater los, rannte zum Erker und hämmerte mit beiden Fäusten gegen das Fenster. »Ich werde mal schnell gehen, bevor ein Unglück geschieht«, sagte sein Vater.
    Als Vater und Sohn weg waren, sagte meine Lehrerin gereizt: »Daß die sich immer noch damit befassen!«
    Ohne etwas darauf zu sagen, setzte ich mich ans Klavier. Vorsichtig spielte ich die einleitenden Takte zu Bachs Zweiter Partita.
    »Was soll das denn?« fuhr meine Lehrerin mich an. »Seit wann spielst du mit steifen Pferdefüßen?«
    Sie setzte sich neben mich, nahm meine rechte Hand, sagte: »Locker, ganz locker die Finger, alles sitzt fest, es ist nicht zu glauben, und dazu habe ich dir jetzt schon so lange Unterricht gegeben. Tust du denn gar nichts mehr?«
    »Ich hab gerade besonders viel geübt«, stammelte ich verblüfft.
    »Davon ist nichts zu merken«, rief sie, »deine Hände sind wie versteift. Als wenn du tot wärst. Laß den Bach noch einmal hören.«
    Wieder spielte ich die dunklen Akkorde. Schon beim vierten
    on Takt zog sie mir beide Hände v den Tasten. Sie sagte: »Wir fangen noch einmal ganz von vorne an. Spiel jetzt einmal die C-dur-Tonleiter.«
    Schwungvoll und schnell spielte ich die Tonleiter, aber sie rief: »Dein Daumen! Dein Daumen! Der bleibt hängen, der bleibt zurück, der muß mitgehe n, sich mitbewegen; ich höre eine Lücke zwischen dem E und dem F, eine Lücke, die so breit ist wie der Waterweg. Und der Rest ist auch unausgeglichen. Das A und O beim Klavierspielen ist die Bewegung, die du mit Daumen und Zeigefinger machst, siehst du, so...« Sie tat, als drehe sie an einem Flaschenverschluß.
    »Darauf ruht alles«, rief sie, »das ist die Grundlage. Und nicht einmal das ist bei dir im Ansatz vorhanden. Setze deinen Daumen aufs F und schlage mit dem Zeigefinger nun erst das C und dann das H an. Ja, den Daumen stehenlassen, o schrecklich, nicht zu glauben - haben wir dafür nun all die Jahre geschuftet?«
    Ihr jüngster Sohn kam ins Zimmer. Sie rief: »Hörst du denn nicht, daß ich Unterricht gebe? Geh, laß uns in Ruhe!«
    »Ja, aber ich...«
    »Jetzt nicht, ich gebe jetzt Unterricht, und ich will nicht gestört werden.«
    Wir schauten uns kurz an, William und ich, und er schüttelte unauffällig den Kopf und verließ das Zimmer. Wir hörten ein Poltern auf der Treppe, die Haustür wurde geöffnet und mit einem Knall zugeworfen.
    »Sollte man solchen Jungen nicht...«,

Weitere Kostenlose Bücher