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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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hätte ich eher wissen sollen... na ja, egal, was geht's mich an.«
    Er schenkte mir wieder nach, er blickte mich an, als sähe er mich zum erstenmal, er sagte: »Du warst so ein hübscher, dunkler kleiner Junge, hat Vroombout dir auch mal Geld angeboten?«
    Mein Gesicht glühte vom Wein, aber dennoch konnte er sehen, daß ich rot wurde. Er sagte: »Du brauchst dich deshalb nicht zu schämen, das sind Dinge, die häufiger vorkommen als Hochwasser; wenn es Medikamente dagegen gäbe und die Männer sie freiwillig einnehmen würden, wäre ich längst Millionär, aber ich gehöre wirklich nicht zu denen, die das zwangsweise durchsetzen würden... Nun ja, endlich verstehe ich, warum Vroombout in euer Lagerhaus ging.«
    »Aber ich hatte... ich war... ich wollte überhaupt nicht, daß...«
    »Komm, sei nicht unglücklich, wir reden von Dingen, die genauso alltäglich sind wie der Südwestwind. Hatte er, hatte dieser Vroombout, soweit du weißt, noch mehr Posaunenengelchen, denen er Geld anbot?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Gesetzt den Fall, daß... aber das sagt auch nichts. Übrigens wollen Graswinckel und Kommissar Douvetrap anscheinend, wie ich auf Umwegen gehört habe, die Dossiers der Untersuchung wieder hervorholen. Sie haben neues Material. Du kannst dich schon darauf einstellen, daß Graswinckel heute oder morgen vielleicht wieder einmal mit dir einen kleinen Gang zum Hafen machen will. Ich halte es übrigens nicht für wahrscheinlich, daß Vroombout von einem Konkurrenten erschossen worden ist, der auch geil auf kleine Jungen... entschuldige, daß ich es so direkt sage, das ist der Sylvaner... nein, dann könnte man logischerweise eher annehmen, daß der eine oder andere wütende Vater eines solchen Jungen... obwohl... ist das nun ein Motiv für einen Mord...? Ich hab keine Ahnung. Dafür mußt du vielleicht selber Kinder haben. Aber wenn ich Graswinckel wäre, würde ich genau nachforschen, welchen Jungen so ein Kollege mit Geld nachlief, und dann würde ich all den Vätern auf den Zahn fühlen, mein Gott, wie würde ich die Väter drannehmen!« Er stand auf, stellte sein Glas auf den Kaminsims, trat ans Fenster, an dem die Regentropfen herabliefen, und sagte: »Väter! Die ganze Welt ist bei Gott voller Väter, du stolperst über Väter, bald jeder Mann wird von selbst Vater... und ich, wir... Maria und ich... Es ist eigenartig: Ein Ehepaar, das kinderlos bleibt, besteht aus einem Mann und einer Frau, die logischerweise alle beide einen Vater und eine Mutter hatten. Mit anderen Worten: Die Eltern eines kinderlosen Ehepaars waren nicht kinderlos. Warum ist das Ehepaar dann kinderlos? Alles ist erblich; warum erbt ein Ehepaar dann nicht von den jeweiligen Eltern die Fähigkeit, Kinder zu kriegen?« Er wandte sich zu mir um, sagte: »Achte nicht darauf, es ist nur der Alkohol, dann werde ich sentimental, dann fange ich an, darüber zu jammern und zu klagen, daß wir keine Kinder haben. Obwohl das doch gerade ganz gut ist. Kinder... in einer Welt wie dieser... du mußt völlig verrückt sein, um in eine solche Welt auch noch Kinder zu setzen... früher oder später fängt die ganze Welt wieder an zu wüten, wiederholt sich '40 - '45 - .. Wußtest du übrigens, daß dieser Vroombout im Krieg ein Verräter war?«
    »Er war doch bei der Polizei?« fragte ich.
    »Deshalb kann er doch ein Verräter gewesen sein! Sehr viele Polizisten waren im Krieg Verräter. Dutzende von ihnen haben bei der Judenverfolgung mitgemacht. Auch Vroombout. Nein, um den Mann ist es nicht schade, man hat ihn nach dem Krieg von Rotterdam hierherversetzt, weil er dort untragbar geworden war, ich begreife übrigens nicht, daß es bei der Versetzung geblieben ist. Er hätte schwer bestraft werden müssen.«
    Die Zimmertür wurde geöffnet. Eine Frau mit hochroten Wangen kam herein.
    »Du bringst eine Menge Kälte mit«, sagte Minderhout.
    »Ja, es ist unfreundliches Wetter.«
    »Wir haben ab jetzt jemanden, der einhütet.«
    »Das ist schön.«
    Sie lächelte mich traurig an. Ich verstand das damals noch nicht, wußte damals noch nicht, wie sehr manche Frauen bei jedem Kind oder jedem Jugendlichen daran erinnert werden, daß es ihnen versagt ist, Mutter zu werden. 

Douvetrap
     
    Anders als Minderhout vorausgesagt hatte, war es nicht Graswinckel, sondern Kommissar Douvetrap, der mich noch einmal über den Mord hinter meinem Rücken verhörte. Und Douvetrap schlug nicht vor, am Hafen spazierenzugehen, sondern kam eines Samstagnachmittags um die

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