Das Wüten der ganzen Welt
sagte sie.
Im Hafen tutete der Schlepper Zwarte Zee. Er legte ab, auf der Govert van Wijnkade wurde eifrig mit Wäschestücken gewinkt, und die Zwarte Zee tutete noch einmal. Während ich dort saß und ab und zu ein paar Tasten anschlug und zwischendurch mir bis dahin unbekannte englische Schimpfworte zu hören bekam, sehnte ich mich leidenschaftlich nach einer Karriere als Schiffsjunge auf der Zwarte Zee.
Kleider
Nach dieser fürchterlichen Stunde dachte ich zw ei Tage lang: Ich höre damit auf, sie ist entsetzlich, aber am Dienstag übte ich verbissener denn je die Einleitung der Zweiten Partita. Noch am selben Tag ließ Minderhout von einem seiner Boten fragen, ob ich am Mittwoch abend aufs Haus aufpassen wolle. Der Bote klingelte bei uns, sprach mit meiner Mutter, und als wir bei Tisch saßen, richtete sie es mir aus.
»Wenn du nichts mehr hörst, kommt er, habe ich zu dem Kerl gesagt«, sagte meine Mutter.
»Ich bin nicht gerade davon begeistert«, sagte mein Vater, »daß du dich so von dem Apotheker in Beschlag nehmen läßt. Der Mann gehört zu keiner Kirche und nichts, er kennt weder Gott noch Gebot.«
»Du bist da allmählich wie Kind im Hause«, sagte meine Mutter, »ich verstehe nicht, was du da zu suchen hast. Was hast du davon, daß du so oft dorthin gehst?«
»Sie haben einen so prächtigen Flügel«, sagte ich.
»Nun, ich hoffe nur, daß es beim Spielen bleibt«, sagte mein Vater, »deine Mutter und ich legen keinen Wert darauf, daß du seine Redensarten übernimmst.«
»Und dieses mokkel von ihm...«, sagte meine Mutter.
»Angemalt wie sonst was«, sagte mein Vater, »und das versteh ich nicht, denn die war früher doch so schön evangelisch, die hat er völlig von dem Herrn und dem Dienst an ihm abgebracht. Er hätte doch lieber das mokkel van Tuitel heiraten sollen.«
»War er denn hinter der auch her?« fragte meine Mutter.
»Ja, wußtest du das nicht? Antje Tuitel, ja, hinter Antje Tuitel war er auch her, ja, denn so einer ist er außerdem auch noch, der hat 'ne Menge Frauen vernascht. Nee, mit dem will ich nichts zu tun haben, mit solch einem Mann, und nun rennt mein eigener Junge dort die Tür ein...«
»Weibsbilder, ja, nun wo du's sagst... der Jans van Pleun hat er auch oft schöne Augen gemacht.«
»Ja, wem nicht? Und denke nur nicht, daß es vorbei ist, jetzt, wo er verheiratet ist. Wenn der weiß, daß es eine hübsche Witwe ist oder eine junge Frau, dann bringt er die Medizin selber hin. Und er scheint es auch nicht zu verachten, seine Apothekenkätzchen ein bißchen auszuprobieren.«
Er blickte mich an und sagte: »Na ja, ich kann dich doch nicht dran hindern, die Zeit wird es dich lehren, was du dir da alles aufgabelst, und inzwischen werden deine Mutter und ich dir weiterhin ein gutes Vorbild sein. Und dann hoffen wir mal das Beste. Aber daß der Herr nicht über dem Haus wacht, bekümmert mich.«
Mir machte das nichts aus; begeistert lief ich am nächsten Tag nach dem Abendessen durch die Havenkade zu seinem Haus. Erst nachdem die beiden fortgegangen waren und ich am Flügel saß, geisterten mir die Lästereien meiner Eltern durch den Kopf. Es gelang mir nicht, mich auf die Zweite Partita zu konzentrieren. Es war, als hätte mein Vater die Tasten von Minderhouts Flügel mit Pech beschmiert. Meine Finger spielten Auflösungszeichen, wo sie nicht standen. »Der Mann gehört zu keiner Kirche und nichts, er kennt weder Gott noch Gebot.«
»Aber er hätte nie auf solch krumme Tour den Blüthner weggegeben«, murmelte ich, »das hätte er nie getan.«
Mitten in einem Takt stockten meine Finger. Es war, als müßte ich meinem Vater beweisen, daß Minderhout anders war, als er es mir vorgespiegelt hatte. Wütend stand ich auf. Mit großen Schritten lief ich zwischen der Zimmertür und den Fenstern hin und her.
Du wirst sehen, rief ich in Gedanken meinem Vater zu, daß bestimmt eine Bibel im Haus ist. Auf der Suche nach einer Bibel verließ ich das Zimmer, in dem der Flügel war. Im Zimmer nebenan stand ein Bücherschrank aus Eiche, darin eine Reihe von Büchern aus der Kulturgeschichte. Daneben prangte eine Trilogie: Das Erbe von Björndal. Weiter oben standen Bücher von Schopenhauer und Vloemans, ein Buch über den Buddhismus von Zürcher, ein Buch von Kohnstamm, Vrije wil of determinisme, eine ganze Reihe Bücher von Ortega y Gasset, ein Buch von J. H. van de Hoop, Zielkunde en de zin van ons leven, Briefe von Rosa Luxemburg und Mein Weg zur Selbsterkenntnis von N.
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