Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
betrachten, dass es sich fast unwirklich anfühlte, nun tatsächlich über die Stufen zu steigen und die Säulen zu berühren.
»Als wir den Pfirsichbaum ausgegraben haben, sind wir auf einen Schatz gestoßen: einen Koffer und einen Filzhut. Und offenbar eine Bratpfanne«, fügte er hinzu und wirbelte das verrostete Teil in der Luft herum. »Als ich den Filzhut sah, bekam ich eine Gänsehaut. Alle Jugendlichen, die in den letzten vierzig Jahren ins Madam eingebrochen sind, haben behauptet, in dem Haus einen schwebenden Filzhut gesehen zu haben. Meine Großmutter hat uns immer mit Geschichten über ein Gespenst, das hier haust, Angst gemacht.«
»Hast du diesen Hut je gesehen?«, fragte sie.
»Ich hab die Augen zugekniffen, als ich hier eingestiegen bin«, antwortete er. »Aber das werde ich abstreiten, wenn du es je weitererzählst.«
Sie bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. Wem sollte sie das denn erzählen?
»Und du?«, fragte er. »Hast du ihn je gesehen?«
»Ich bin nie hier gewesen«, sagte sie.
»Willst du mich veräppeln? Bei den ganzen Nummern, die du durchgezogen hast, bist du nie ins Madam eingestiegen?«
»Ich bin dem Haus noch nie so nah gewesen wie jetzt.« Sie streckte die Hand aus und berührte die Wand, als ob sie sich versichern wollte, dass sie echt war.
»Warum nicht?«
Sie ließ die Hand sinken, weil sie befürchtete, albern zu wirken. »Aus demselben Grund, warum alle anderen eingestiegen sind. Geister. Meine Großmutter hat auch mir diese Geschichten erzählt.«
»Hast du etwa Angst vor Gespenstern?«
»Ich finde, Dinge, die vergraben worden sind, sollte man ruhen lassen«, erklärte sie und merkte, dass sie ganz wie ihre Großmutter klang. Sie trat zu dem Koffer, der am Rand des Säulengangs lag. Er bestand aus schwarzem Leder, das am Verrotten und mit Erde bedeckt war. Der Koffer selbst wirkte jedoch überraschend intakt. Der Inhalt war ausgepackt worden und lag nun ordentlich daneben, gleich neben dem Filzhut.
Sie kniete sich hin und betrachtete die Dinge sorgfältig, auch wenn sie nicht wusste, warum. Sie hätte ohnehin nichts erkannt, wenn es aus der Zeit stammte, als ihre Großmutter hier gelebt hatte. Das Leben ihrer Großmutter hatte erst richtig begonnen, nachdem sie diesen Ort verlassen hatte. Das hatte sie jedenfalls immer behauptet.
Der Inhalt des Koffers bestand überwiegend aus altmodischer Männerkleidung in Baumwolle und Leinen. Aber es gab auch die Reste einer Zeitung und ein aufgeschlagenes Erinnerungsalbum. Willa hob es vorsichtig hoch und blätterte es durch. Auf den meisten der vergilbten, brüchigen Seiten klebten Zeitungsausschnitte. Der Besitzer dieses Albums hatte offenbar gern das Leben bekannter Filmschauspieler in den Dreißigern verfolgt. Dafür hatte er dieses Album angelegt. Ab und zu gab es auch richtige Fotos. Sie wirkten uralt. Die Leute darauf waren unscharf und schienen in einer Art Obsthain zu stehen.
»Sehen die Bäume im Hintergrund nicht aus wie der Pfirsichbaum, der hier stand?«, fragte sie. Colin blickte über ihre Schulter. Er war wesentlich näher bei ihr, als sie für nötig hielt.
»Ja, stimmt«, erwiderte er. »Ein interessanter Hinweis.«
Beim Weiterblättern stieß sie auf das Abschlusszeugnis einer Highschool aus Upton in Texas, ausgestellt auf jemanden namens Tucker Devlin.
»Kommt dir irgendetwas bekannt vor?«, fragte Colin, der sich noch immer über sie beugte.
»Nicht wirklich, nur …« Sie hielt inne, als sie auf der letzten Seite angelangt war. Dort klebte das Foto eines attraktiven Mannes, der einen hellen Anzug und einen Filzhut trug – vielleicht den Filzhut, der zusammen mit dem Koffer vergraben worden war. Er sah aus, als wüsste er genau, wie attraktiv er war, als könnte er alles bekommen, was er wollte.
»Was ist los?«, fragte Colin.
»Keine Ahnung. Irgendetwas an ihm kommt mir bekannt vor.« Willa klappte das Album zu.
»Die Zeitung aus Asheville, die im Koffer lag, stammt vom August 1936, dem Jahr, als deine Familie auszog«, sagte Colin und machte einen Schritt zurück.
»Zur selben Zeit wurde der Damenklub gegründet. So steht es jedenfalls auf den Einladungen, die deine Schwester verschickt hat«, fügte Willa hinzu und stand auf. »Ich weiß nichts davon. Tut mir leid. Ein paar Sachen meiner Großmutter liegen noch bei mir auf dem Dachboden. Vielleicht findet sich dort ein Hinweis auf diesen Tucker Devlin. Ich könnte mal nachschauen.«
»Das wäre schön.« Er lächelte. »Würdest du das
Weitere Kostenlose Bücher