Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
auf dem Weg nach oben. Er hielt vor dem Porträt der Dame in Blau. »Das ist deine Ururgroßmutter, Rebecca Jackson. Das Gemälde lag in Decken eingehüllt in einem Schrank. Es ist ein Wunder, dass es all die Jahre keinem Plünderer zum Opfer gefallen ist.«
Willa starrte auf das Porträt. Das also war die Großmutter ihrer Großmutter. Hatte Großmutter Georgie sie gekannt? Sie hatte keine Ahnung. »Ich habe ihre Augen«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Ich sehe sie heute zum ersten Mal.«
Colin schüttelte den Kopf. »Paxton hätte dich mit einbeziehen sollen. Ich weiß nicht, warum sie es nicht tat.«
»Ich wäre keine große Hilfe gewesen«, entgegnete Willa. »Sie hat ihre Sache großartig gemacht, auch ohne mich.«
»Die Gästezimmer sind dort drüben.«
Er wollte um eine Ecke biegen, doch sie hielt ihn auf. »Nein. Ich habe genug gesehen.«
»Was ist denn los?«
»Nichts. Es ist ein fantastischer Ort. Danke für die Tour, aber ich muss jetzt wirklich wieder an die Arbeit. Tut mir echt leid, dass ich dir bei den vergrabenen Schätzen nicht groß weiterhelfen konnte.« Sie war davon ausgegangen, dass sie all dies hinter sich gelassen hatte, und wusste nicht, warum es sie nun so mitnahm.
Sie drehte sich um. Genau in diesem Moment bewegte sich der Boden.
Sie blieb stehen und schaute in Colins dunkle Augen. Er wirkte ebenso verblüfft wie sie.
»Hast du das gespürt?«, fragte sie.
»Ja«, sagte er mit ernster Miene. »Und es gefällt mir nicht.«
»Das ist doch nicht etwa … das Gespenst?«
Er lächelte kurz, als hätte sie etwas Witziges gesagt. Dann eilte er nach unten und aus dem Haus. Sie folgte ihm. Im Freien war das Beben ausgeprägter. Die Erde bewegte sich so heftig, dass der große Kronleuchter im Säulengang schwankte.
Colin starrte auf den Fleck, an dem die Arbeiter die restlichen Wurzeln des Pfirsichbaums ausgruben. Sie hatten mittlerweile ein ziemlich großes Loch gebuddelt. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie haben eine Gasleitung beschädigt. Aber hier gibt es keine Gasleitungen, und all die anderen unterirdischen Leitungen sind gekennzeichnet.«
Das Grollen schien immer lauter zu werden. Die Luft um sie herum vibrierte in Wellen. Willas Trommelfelle pochten.
»Was auch immer es ist, es hört sich so an, als würde es gleich explodieren. Geh rein zu Maria«, sagte Colin. Er trat an den Rand des Säulengangs und fuchtelte wild mit den Armen, um die Aufmerksamkeit der Männer an der Grabungsstelle auf sich zu lenken. »Zieht euch zurück!«, schrie er. »Und zwar sofort!«
Die Männer sahen ihn und folgten seiner Aufforderung, ohne zu zögern. Sie rannten, so schnell sie konnten, weg von dem Loch.
Colin drehte sich um, als das Grollen noch stärker wurde. Willa war nicht ins Haus gegangen. Sie stand noch im Säulengang und hielt sich mit einer Hand an der Wand fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er überraschte sie, indem er sie packte und an die Wand drückte. Mehrere Sekunden verstrichen, und das Grollen schwoll immer weiter an, bis Willa sich sicher war, dass etwas passieren würde. Etwas würde explodieren, aufbrechen, ans Licht kommen. Sie kniff die Augen zu und vergrub ihr Gesicht an Colins Brust. Ihre Hände verkrallten sich in seinem Hemd. Doch nach einem letzten Crescendo hörte das Grollen abrupt auf, und eine gespenstische Stille breitete sich aus. Nur ein leises Knarzen war noch zu hören, verursacht vom Kronleuchter, der sich immer noch hin und her bewegte.
Colin trat einen Schritt zurück, und Willa und er sahen sich einen langen Moment wortlos an. Dann drehten sie sich gleichzeitig zu dem Schaufelbagger um. Ein Schwarm schwarz-gelber Vögel hatte sich darauf niedergelassen und starrte in das Loch. Einer der Männer trat vorsichtig näher. Als er hineinblickte, erstarrte er, und sein Gesichtsausdruck spiegelte das blanke Entsetzen wider.
»Was ist denn?«, rief Colin.
Der Mann schob seinen Schutzhelm zurück. »Das musst du dir selber anschauen.«
Colin sah zu Willa. »Alles in Ordnung?«, fragte er und legte eine Hand an ihre Schläfe.
Willa nickte zögernd. Colin sprang vom Säulengang auf den Boden und lief zu dem Loch. Willa atmete ein paarmal tief durch und folgte ihm.
Colin war als Erster dort. Er schaute hinein. »Ach du meine Güte!«, entfuhr es ihm.
»Was ist denn?«, fragte Willa.
»Ich glaube, wir haben soeben den Besitzer des Koffers gefunden«, erwiderte Colin.
Willa blickte hinab in die Grube. Sie brauchte eine
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