Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
zu essen vertrage.«
Nola lächelte. »Das wird aber auch langsam Zeit«, sagte sie.
Aus ihr unerfindlichen Gründen – ihre Großmutter hätte wahrscheinlich gesagt, das sind Zeichen – krochen momentan aus allen Winkeln Osgoods in Willas ganz normales Leben und brachten es aus dem Gleichgewicht.
Doch zum Glück, so dachte sich Willa, würde sie bei all dem Tumult droben beim Madam weder von Colin noch von Paxton viel zu sehen bekommen.
Übers Wochenende war ein Nachrichtenteam aus Asheville hereingeschneit, um einen Film über den Skelettfund beim Blue Ridge Madam zu drehen. Dem Bericht zufolge handelte es sich möglicherweise um Mord, auch wenn die Todesursache noch nicht feststand. Der Schädel wies offenbar entsprechende Stellen auf. Das Nachrichtenteam hatte auch von einem Informanten, der nicht genannt werden wollte, den Namen Tucker Devlin erfahren. Es musste jemand gewesen sein, der das Album und das Abschlusszeugnis gesehen hatte. Prompt hatten sie auch einen Mann – angeblich einen Handlungsreisenden – mit diesem Namen aufgestöbert, der im Januar 1936 mehrere Leute in Asheville um ihr Geld gebracht hatte.
Ein Vertreter? Vielleicht ermordet? Das lieferte viel Gesprächsstoff. Willa war ebenso neugierig wie alle anderen, wenn auch etwas distanzierter. Was beim Madam los war, hatte nichts mit ihr zu tun und würde sehr wahrscheinlich nie etwas mit ihr zu tun haben. Die Geister dort oben gingen sie nichts an.
Zumindest dachte sie das, bis sie am Sonntag Besuch von der Polizei bekam.
»Hast du den Typen gesehen?«, rief Rachel hinter ihrer Kaffeebar, nachdem der letzte Kunde am Sonntagnachmittag gegangen war. Willa war gerade mit der Kassenabrechnung fertig und schaute hoch. Sie sah, dass Rachel etwas notierte. »Er ist eine Woche lang gewandert, und heute kehrt er heim. Weißt du, was er bestellt hat? Eine eisgekühlte Mokka-Latte. Das ist ein Getränk für Leute, die etwas Luxus brauchen. Ich sage dir, das ist eine Wissenschaft für sich.« Sie beendete den Eintrag und winkte mit ihrem Notizbuch.
Heute stand Rachels kurzes Haar stachelig von ihrem Kopf ab. Sie trug ein wasserdichtes Top aus dem Laden und dazu einen knappen Karorock. Das Outfit war so daneben und gleichzeitig so typisch für Rachel, dass Willa jedes Mal lächeln musste, wenn ihr Blick auf sie fiel.
»Was ist denn los?«, fragte Rachel, als sie Willa dabei ertappte, wie diese sie musterte.
Willa schüttelte den Kopf und dachte daran, wie froh sie war, dass Rachel vor anderthalb Jahren in ihren Laden spaziert war. »Nichts.«
»Sag mir schnell, was für einen Kaffee du in diesem Moment gern trinken würdest.«
»Ich will gerade gar keinen Kaffee«, erwiderte Willa.
»Aber wenn du einen wolltest, was würdest du dann nehmen?«
»Keine Ahnung. Irgendwas Gefrorenes, Süßes. Schokolade mit Karamell.«
»Ha!«, rief Rachel erfreut. »Das heißt, dass du gerade an etwas gedacht hast, was dich glücklich macht.«
»Nun, der Punkt geht an dich. Das stimmt.«
Die Glocke über dem Eingang bimmelte, und beide drehten sich in diese Richtung.
Doch da war niemand.
»Das passiert nun schon zum zweiten Mal«, erklärte Rachel stirnrunzelnd. »Wann reparierst du diese Glocke? Das Ding regt mich auf.«
»Ich dachte, du glaubst nicht an Geister«, zog Willa sie auf, während sie den Reißverschluss der Geldtasche zumachte und ins Lager ging, um die Tasche im Safe zu deponieren.
Während sie im Lager war, bimmelte die Glocke abermals.
»Willa?«, rief Rachel.
»Okay, ich lass sie reparieren. Versprochen«, sagte Willa, als sie in den Laden zurückkehrte.
»Jemand will dich sprechen.«
Willa spürte einen kleinen Stich in der Brust, weil sie, aus welchem Grund auch immer, dachte, es wäre Colin. Sie hatte nicht viel Zeit zu überlegen, warum sie sich darüber freuen würde, zumal sie sich erfolgreich eingeredet hatte, dass sie sich mit ihm nichts als Ärger einhandelte. Als sie sich dem Mann an der Tür zuwandte, stellte sie fest, dass es nicht Colin war, sondern Woody Olsen, ein Kommissar der örtlichen Polizei.
Willas Vater hatte Woody in der Highschool unterrichtet, und der hatte ihn sehr geschätzt. Woody war derjenige gewesen, der Willa in Nashville angerufen und ihr mitgeteilt hatte, dass ihr Vater auf der Interstate überfahren worden und an seinen Verletzungen gestorben sei. Sie war damals so jung, orientierungslos und erfüllt von Trauer gewesen, dass Woody ihr geholfen hatte, sich um alles zu kümmern, und bei der
Weitere Kostenlose Bücher