Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
Beerdigung sogar die Trauerrede gehalten hatte. Willa schickte ihm jedes Jahr zu Weihnachten einen Obstkorb, statt sich jemals persönlich bei ihm zu bedanken. Sie konnte es einfach nicht ertragen. Selbst jetzt erstarrte sie, als sie ihn sah, weil er für sie ewig der Überbringer schlechter Nachrichten sein würde. Sofort überlegte sie, was passiert sein könnte. Welche schlechten Nachrichten würde er ihr diesmal mitteilen?
»Hi, Willa«, sagte Woody. Er hatte große, ständig tränende Augen. Deshalb konnte man bei ihm nie wissen, ob wirklich etwas nicht stimmte. »Ich muss dir einige Fragen über deine Großmutter stellen. Hast du ein paar Minuten für mich?«
»Meine Großmutter?«
»Es ist nichts passiert, glaub mir.« Er lächelte und deutete langsam auf das Café, wie um sie mit seiner Langsamkeit zu beruhigen. »Setzen wir uns«, schlug er vor.
Verwirrt ging Willa in den Cafébereich und setzte sich. Woody nahm ihr gegenüber Platz. Er war ziemlich hager, hatte jedoch einen dicken Bauch. Seine Krawatte ruhte darauf wie ein Haustier. »Um was geht es denn, Woody?«, fragte sie.
»Deine Großmutter kann sich nicht mehr mitteilen. Deshalb müssen wir dir als ihrer einzigen lebenden Verwandten unsere Fragen stellen.«
»Warum habt ihr denn Fragen an sie?«
Woody zog einen Block aus seiner Innentasche. »Wann ist die Familie deiner Großmutter aus dem Blue Ridge Madam ausgezogen?«
»Neunzehnhundertsechsunddreißig. Wann genau, weiß ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Warum willst du das wissen?«
»Hat sie je davon gesprochen, dass jemand beim Madam begraben wurde?«
Es ging um das Skelett. Willa entspannte sich ein wenig. »Ach so. Nein. Sie hat nie über ihre Zeit im Madam gesprochen. Tut mir leid.«
Woody blätterte durch die Seiten seines Blocks und wich ihrem Blick aus. »Soviel ich verstanden habe, war sie schwanger, als ihre Familie das Haus aufgeben musste.«
Willa zögerte ein wenig. »Ja.«
»Hat sie je erwähnt, von wem sie schwanger war?«
»Nein. Sie war ein junges Mädchen, und sie war ledig. Das war damals ein Riesenskandal. Sie sprach nicht gern darüber.«
»Hat dein Vater es gewusst?«
»Das kann schon sein, aber er hat immer nur gesagt, das sei etwas Privates. Ich habe damals nicht viele Fragen gestellt. Das hätte ich wohl tun sollen.« Sie versuchte, Woody dazu zu bringen, ihr in die Augen zu schauen. »Das ist lächerlich, Woody. Der Mann, der dort oben begraben wurde, ist nicht der Vater von Georgies Kind. Es gibt keine Verbindung.«
Endlich sah er sie an. »Colin Osgood hat mir gesagt, dass du dir die Sachen angeschaut hast, die bei dem Skelett lagen.«
»Ja«, sagte sie. »Aber da wussten wir noch gar nicht, dass dort ein Skelett lag. Er hat mich gebeten, die Sachen durchzusehen, und gefragt, ob ich etwas davon erkenne.«
»Dann hast du also auch das Erinnerungsalbum gesehen.«
Sie starrte ihn verständnislos an. »Ja.«
»Hast du etwas darin erkannt?«
»Nein. Du etwa?«
Woody steckte seinen Notizblock wieder ein. »Danke, dass du dir ein bisschen Zeit für mich genommen hast. Das war’s dann auch schon.«
Er stand auf und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Plötzlich kam Willa ein schrecklicher Gedanke. »Woody?«
Er drehte sich um.
»Du glaubst doch nicht etwa, dass meine Großmutter etwas mit dem Toten zu tun hatte, der dort oben begraben wurde, oder?«
Er zögerte. »Was auch immer passiert ist – es ist lange her. Ich glaube nicht, dass wir je die ganze Geschichte erfahren werden.«
»Das beantwortet nicht meine Frage.«
»Wenn noch etwas Neues auftaucht, sage ich dir Bescheid. Aber das wird wahrscheinlich nicht der Fall sein. Mach dir also keine Sorgen.« Er öffnete die Tür, dann schenkte er ihr ein kleines Lächeln. »Danke für die Obstkörbe. Ich freue mich immer sehr darüber.«
Willa drehte sich zu Rachel um, die alles mitbekommen hatte.
»Ich muss …«, sagte Willa und stand auf. Es fiel ihr schwer, den Satz zu beenden. Sie wusste nämlich nicht genau, was sie jetzt tun musste.
Rachel nickte nur. »Mach ruhig«, sagte sie.
Willa fuhr schnurstracks zum Pflegeheim. Das tat sie normalerweise nicht um diese Uhrzeit, weil ihre Großmutter gegen Abend oft sehr unruhig wurde. Aber ihr Beschützerinstinkt trieb sie dazu.
Georgie hatte bereits gegessen und ihre Beruhigungsmittel bekommen. Willa setzte sich auf die Bettkante und dachte über die jüngsten Vorfälle nach. Sie ging davon aus, dass nichts von dem, was in dem Grab gefunden
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