Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
stand eine Keramikschüssel, die ihr ein Freund von der National Street getöpfert hatte, mit ein paar weichen, vollreifen Pfirsichen. Von den Früchten stieg die süße Vorankündigung des Verfalls auf.
Plötzlich spannte sich Willas Kopfhaut an, und sie wich einen Schritt zurück.
An der Schüssel lehnte das Foto ihres Vaters – das seltsam schelmische Foto, das sie aus dem Album genommen und auf den Couchtisch im Wohnzimmer gelegt hatte.
Und nicht in die Küche getragen hatte.
Willa hätte nie gedacht, dass sie sich eines Tages bei so etwas ertappen würde. Niemals hätte sie gedacht, dass sie die abergläubischen Ratschläge befolgen würde, die ihre Großmutter so eifrig von sich gegeben hatte. Aber nachdem sie das Foto ihres Vaters in der Küche gefunden hatte, legte sie einen Penny auf den Fenstersims in ihrem Schlafzimmer und ließ das Fenster einen Spalt offen. Ihre Großmutter hatte nämlich behauptet, Geister würden oft vergessen, dass sie Geister sind, und seien scharf aufs Geld. Wenn sie nah genug an ein offenes Fenster gerieten, würden sie von der Nachtluft nach draußen gesaugt.
Kein Wunder, dass Willa in jener Nacht nicht viel Schlaf bekam. Und es trug auch nicht zu ihrem Seelenfrieden bei, dass es am nächsten Morgen ein schwarz-gelber Vogel schaffte, durch den Spalt in ihrem Schlafzimmerfenster zu fliegen. Sie brauchte anderthalb Stunden und einen Besen, um ihn wieder hinauszuscheuchen.
Heute war Rachels freier Tag, deshalb musste Willa den Laden aufsperren und das Licht anknipsen. Dann mahlte sie Kaffee und schaltete die Kaffeemaschine ein. Sie war keine so gute Kaffeeköchin wie Rachel, doch das Nötigste schaffte sie schon. Rachel hatte die Vitrine mit Mokkachipskeksen und Cappuccino-Donuts aufgefüllt und außerdem extra eine Ladung Kaffee-Kokos-Riegel gebacken, die Willa besonders gern mochte. Auf der Schachtel klebte eine Notiz: »Die sind nur für dich. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.« Offenbar hatte Rachel gestern Abend ein paar Überstunden gemacht.
Willa war ziemlich schlecht gelaunt und zerstreut in den Laden gekommen, aber bei der Schachtel mit den Riegeln besserte sich ihre Laune sofort. Rachels Kaffeezauber war ein Heilmittel für alle Gebrechen, auch wenn die Taille ein wenig darunter litt. Nun konnte Willa wieder klar denken. Natürlich musste sie das Foto mit in die Küche genommen haben, das hatte sie wohl einfach vergessen. Sie beschloss, die Sache noch einmal anders anzugehen.
Als der Kundenstrom verebbte, rief Willa ihre Freundin Fran in der Bücherei an. Fran war wie Rachel eine Zugereiste und besuchte Willa häufig in ihrem Laden. Sie ging nahezu jedes Wochenende zum Bergsteigen in den Cataract.
»Hi, Fran! Willa hier.«
»Willa! Das ist aber eine Überraschung.« Fran gehörte zu den Leuten, die immer so klangen, als redeten sie mit vollem Mund. »Was kann ich für dich tun?«
»Wie finde ich heraus, was 1936 in der Stadt los war? Gibt es bei euch ein Archiv?«
»Die Polizei und ein paar Reporter haben mir dieselbe Frage gestellt, als das Skelett beim Madam auftauchte«, erwiderte Fran. »Leider gab es damals noch keine Lokalzeitung. Warum willst du das denn wissen?«
»Ich habe mir die Sachen meiner Großmutter angeschaut, aber bedauerlicherweise gibt es nicht so viel über ihr Leben, wie ich gehofft hatte. 1936 war ein einschneidendes Jahr für sie. Ihre Familie musste das Madam aufgeben, und sie hat meinen Vater geboren.«
Fran schien nachzudenken. Willa hörte ein Klacken wie von einer Computertastatur. »Nun, wir haben hier einen Newsletter von Walls of Water, der etliche Jahrzehnte lang herausgegeben wurde. Den habe ich auch den Polizisten gezeigt.«
»Worum geht es darin?«
»Im Grunde nur um Klatsch. Es gab dieses Bulletin von den Dreißigern bis in die Vierziger hinein.« Fran lachte. »Du solltest das Zeug mal lesen. Es ist wirklich unglaublich. Das Leben der feinen Damen in jener Zeit ist genauestens dokumentiert.«
»Glaubst du, ich könnte mal einen Blick darauf werfen?«, fragte Willa.
»Selbstverständlich. Ich suche dir gern alles heraus.«
Ein paar Touristen spazierten herein. Willa lächelte ihnen zu und winkte. »Wie lange habt ihr denn heute auf?«, fragte sie Fran.
»Nur den halben Tag. Haushaltskürzungen bedeuten verkürzte Öffnungszeiten. Ich wollte gerade zusperren und heimgehen.« Fran machte eine Pause. »Wie wär’s, wenn du mich nach Feierabend zu Hause anrufst? Dann können wir uns in der Bücherei treffen.«
»Du
Weitere Kostenlose Bücher