Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
Tucker Devlin eingeladen, sie zu einem Lunch zu begleiten und dort seine Waren anzubieten. Alle schienen hoffnungslos in seinen Bann zu geraten. Jojo zitierte Tucker Devlin: »Ich stamme aus einer langen Linie von Pfirsichpflanzern und bin in Upton, Texas, geboren und aufgewachsen, worauf ich sehr stolz bin. Ich trage von Herzen gern dazu bei, dass Frauen sich gut fühlen. Aber das ist nur mein Job. Am besten verstehe ich mich auf Pfirsiche. In meinen Adern fließt Pfirsichsaft. Mein Blut ist süß wie ein reifer Pfirsich. Honigbienen fliegen direkt zu mir.«
Das erste Foto zeigte ihn vor einem Tisch, auf dem er seine Tiegel und Tränke aufgereiht hatte. Offenbar war er gerade dabei, den Damen seine Sachen aufzuschwatzen. Willa musterte das Foto mit zusammengekniffenen Augen. Es war definitiv der Mann auf dem Foto, das zusammen mit ihm unter dem Pfirsichbaum begraben worden war. Willas Haut kribbelte wie bei einem Déjà-vu, aber sie schüttelte das Gefühl ab.
Von da an tauchte Tucker Devlin in jedem Bulletin auf. Die Fotos dokumentierten seine gesellschaftliche Karriere eindrucksvoll. Anfangs posierte Tucker mit den älteren Damen, aber dann wurde er in die Gesellschaft eingeführt und begann, die jüngeren Frauen zu favorisieren. Es gab zahlreiche Fotos, auf denen man ihn zusammen mit Georgie und Agatha sah. Er war wie ein Magnet. Die Leute schienen unbewusst von ihm angezogen zu werden. Im Lauf der Zeit begannen die Frauen auf den Fotos, verzweifelt zu wirken. Sie verschlangen den Mann mit ihren Blicken, und auf Gruppenfotos gab es immer ein Mädchen, das ein anderes eifersüchtig anstarrte. Einige Bulletins später erwähnte Jojo beiläufig, dass Tucker Devlin im Blue Ridge Madam Quartier bezogen habe.
Willa war verblüfft. Er hatte dort gewohnt?
Sie las die Rundbriefe noch einmal aufmerksam durch, um zu begreifen, was passiert war. Anscheinend hatte Olin Jackson von Tucker Devlins früherem Beruf erfahren. Vielleicht hatte auch Tucker Devlin Olin Jackson angesprochen. Jedenfalls wurde der Plan geschmiedet, Jackson Hill in eine Pfirsichplantage zu verwandeln. Das würde neue Jobs schaffen, und die Jacksons würden den Ort abermals retten. Olin hatte Tucker eingeladen, bei ihnen zu wohnen, während sie dieses Projekt durchführten.
Unwillkürlich fragte sich Willa, wie jemand auf die hirnrissige Idee verfallen konnte, in dieser Höhe Pfirsichbäume anzupflanzen. Falls Tucker Devlin wirklich der war, der zu sein er vorgab, hätte er wissen müssen, dass Pfirsiche dort niemals gedeihen würden. Er hätte wissen müssen, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt war.
Trotzdem hatte er alle überzeugt, dass es möglich war.
Er war ein Betrüger, genau, wie Agatha gesagt hatte.
Aber warum sollte ihn jemand deshalb umbringen? Wem hatte er so viel Leid zugefügt?
Den ganzen Sommer über tauchte Tucker, der sich zum Goldjungen des Orts gemausert hatte, in den Rundbriefen auf, und seine Lieblingsbegleitung zu den Partys bestand stets aus denselben jungen Damen – mit einer bemerkenswerten Ausnahme. So seltsam es war, und obwohl Georgies Freundinnen ihm nicht von der Seite wichen, schien Georgie selbst aus der Gesellschaft verschwunden zu sein. Es wurde zwar kurz erwähnt, dass sie nicht ganz auf der Höhe sei, aber ab Mai 1936 tauchte kein einziges Foto mehr von ihr auf.
Im August des Jahres verschwand auch Tucker Devlin. Es gab keine Erklärung für sein Verschwinden, und auch der Plan mit der Pfirsichplantage wurde nie mehr erwähnt. Willa stieß nur noch auf eine kurze Notiz, in der es hieß, die Familie Jackson habe aufgrund eines gerichtlichen Bescheids das Blue Ridge Madam verlassen müssen. Ihr Anwesen war an die Regierung übergegangen, weil sie ihre Steuerschuld nicht mehr begleichen konnten. Das war im Oktober 1936 gewesen – zwei Monate, nachdem der Leichnam vergraben worden war, wenn man sich an der Zeitung aus Asheville, die man neben der Leiche gefunden hatte, orientieren wollte.
Das hieß, dass Georgie und ihre Familie zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich noch im Madam gewohnt hatten.
Diese Tatsache hätte Willa lieber nicht erfahren. Und falls die Polizei diese Bulletins durchgesehen hatte, wie Fran erwähnte, wussten sie es nun auch.
Willa druckte die Rundbriefe des Jahres 1936 aus und steckte sie ein. Dann schaltete sie die Geräte und das Licht aus und sperrte die Tür hinter sich zu. Sie kam sich vor wie die Letzte, die eine Party verließ, die eigentlich keiner verlassen
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