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Das Wunder von Bajkonur

Das Wunder von Bajkonur

Titel: Das Wunder von Bajkonur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gott, das stimmt!« sagte Weronika Alexandrowna leise und faltete die Hände. »Noch nie ist das passiert. In der Bibel steht es nicht …«
    »Nur von einem Stern steht da geschrieben. Der Stern von Bethlehem – und er leuchtete unserem Herrn! Nun, nach bald 2.000 Jahren, schwebt ein zweiter Stern über einem Haus, nein, durch ein Haus, ein noch viel größeres Wunder … und es ist dein Haus, Jakowlew. Oh, Bruder, knie nieder und danke dem Herrn …«
    Weronika fiel sofort auf die Knie, bekreuzigte sich und betete stumm mit sich bewegenden Lippen. Rachim Victorowitsch glotzte ziemlich blöd den Polizisten Gubenko an, der plötzlich wie ein Pope sprach und weltentrückte Augen hatte. Was Gubenko da sagte, stimmte Jakowlew nun wirklich nachdenklich. Eines war wahr: Noch nie war ein Stern in einem Meter Höhe vom Boden aus durch ein Haus geschwebt. Das hatte es nur bei Jakowlew in Bajkonur gegeben. So gesehen, war Rachim Victorowitsch etwas Einmaliges auf der Welt, zumal er dem Stern so nahe wie niemand gekommen war. Er hatte ihn sogar gerochen, was aber die anderen bezweifelten.
    »Was sollen wir machen?« fragte Jakowlew. »Der Genosse Butejew setzt es durch und macht aus unserem Haus ein Denkmal!«
    »Wir müssen ihm zuvorkommen!« sagte Gubenko mit fester Stimme. »Wenn er morgen früh hier wieder erscheint, muß es schon ein Gotteshaus sein.«
    »Mein Lebensmittelladen ein Gotteshaus«, seufzte Weronika Alexandrowna ergriffen. »Wer hätte das gedacht. Wie wird ein normales Haus zu einem Gotteshaus, Iwan Michailowitsch?«
    »Indem man zunächst eine geweihte Glocke hineinhängt. Oder ein Kruzifix.«
    »Es kann auch eine Gebetsnische nach Mekka sein«, knurrte Rachim.
    »Wo bekommen wir bis morgen eine geweihte Glocke, ein Kruzifix und eine Gebetsnische her?« jammerte Weronika.
    »Gemach, ihr Lieben!« Gubenko hob die rechte Hand. »Es ist alles vorbereitet. Ich habe dafür gesorgt. Man muß die Zeichen des Himmels lesen können …«
    Gegen Mitternacht klopfte es an der Ladentür. Die Jakowlews schraken hoch und erbleichten. Ein neuer Stern? Aber klopfen Sterne an die Tür?
    »Da ist er endlich«, sagte Gubenko gemütlich. »Ich gehe öffnen …«
    »Wer ist da?« fragte Rachim und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. »Oleg Gregorijewitsch Iwin …«
    »Der Schielende?« schrie Weronika auf. »Was will der Totengräber bei uns? Nimmt er schon Maß? Sind wir wirklich von Strahlen verseucht?«
    »Er bringt das Glöcklein und das Kreuz«, sagte Gubenko beruhigend. »Morgen früh wird Butejew staunen!«
    Oleg Gregorijewitsch Iwin war in Bajkonur so bekannt wie Sichel und Hammer. Es war nicht zu umgehen: Jeder mußte einmal durch seine Hände, früher oder später, und es spielte da keine Rolle, ob er einem sympathisch war oder nicht. Lag man da, steif und stumm für immer, und wurde im offenen Sarg zu Grabe getragen, zum letzten Abschied – dann stand als letzter Iwin in der Reihe, wuchtete den Sargdeckel auf den Toten, verschraubte ihn und ließ ihn mit drei anderen Genossen in die Grube. Später, wenn alle gegangen waren, schaufelte er das Grab zu, und da konnte man hören: »Ein Halsabschneider war er. Ein Geizkragen! Hast du die Witwe nicht weinen sehen? Lachen hätte sie müssen. Seit neun Jahren hat er nur gesoffen und gehurt. Nun ist Ruhe. Pah!« Oder man hörte: »Ein feiner Mann war er. Ein edles Gemüt. So ist es – die Wertvollen sterben zuerst, es überleben immer die Halunken. Man hätte ihm hundert Jahre gönnen können.«
    Verständlich, wenn die Hinterbliebenen meist versuchten, Iwins allerletzte Worte positiv zu beeinflussen. Er verdiente gut dabei. Wenn man ihm zwanzig Rubel gab, vergoß er am Grab sogar Tränen und trauerte sicht- und hörbarer als Witwe, Tochter und Sohn. Seine Glanzleistung vollbrachte er nach einem Trinkgeld von sage und schreibe 100 Rubel. Da warf er sich über den Sarg und schrie herzerweichend – aber wohl hauptsächlich deshalb, weil ihm bei so viel Schwung ein Holzsplitter ins Kinn gefahren war. Nach diesem unvorhergesehenen Zwischenfall nahm Iwin keine 100-Rubel-Aufträge mehr an.
    Fürchterlich aber war sein Schielen. Die Haltung seiner Augen galt als medizinische Sensation. Schon mehrmals hatte man ihn für medizinische Lehrbücher fotografiert. Und in den Hörsälen der Universitäten von Karaganda und Taschkent, Samarkand und Buchara schielte er vor Tausenden von Studenten, die seinen Auftritt sogar beklatschten, als sei er ein großer Sänger.

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