Das Wunder von Bajkonur
darüber diskutieren. Alles ist noch so neu. Bis jetzt haben wir drei Meinungen: Es war eine neue amerikanische Waffe … Es war ein Wunder … Es waren kosmische Strahlen.«
»Es sind Strahlen!« rief Bisti. »Ich spüre sie auf der Haut.«
Kunstmaler Rachim Victorowitsch Jakowlew ließ sich zu der Erklärung herbei: »Begnügen wir uns mit der Feststellung: Hier schwebte eine feurige Kugel herum, und weg ist sie …«
»Das sieht ihm ähnlich, dem Farbenkleckser!« entgegnete der Elektriker Bassow erbost. »Da kommt etwas Einmaliges, Unerklärbares nach Bajkonur, und nun will man es totschweigen. Nichts da, Genossen – das schließt unser aller Schicksal ein. Wir alle sind ein Teil davon. Die ganze Welt wird über Bajkonur sprechen … Aber Jakowlew will es einfach unter den Tisch kehren, als sei nur ein Fußball durch seinen Laden geflogen! Ich beantrage, daß dieses Haus unter Denkmalschutz gestellt wird!«
»Und mein Geschäft?« schrie Weronika Alexandrowna.
»Man kann auch in einem Denkmal Nudeln verkaufen!« sagte Butejew weise. »Vorerst jedenfalls. Später werden es Broschüren und Bilder, Andenken und Medaillen, Teller und Vasen, Halsanhänger, Ringe und Armbänder sein, die alle daran erinnern, daß Bajkonur ein auserwählter Ort geworden ist. Das Lourdes der kasakstanischen Steppe. Marienerscheinungen hat es genug gegeben … wer aber hat eine feurige Kugel vorzuzeigen, die durch einen Lebensmittelladen schwebt, einen Meter über dem Boden?«
»Und die vor einem Korb mit kandierten Feigen stehenbleibt«, fügte Weronika feierlich hinzu. »Und dabei zittert …«
Man kann nicht unentwegt diskutieren. Einmal wird jedes Thema, auch wenn es noch so erhaben ist, erschöpft. Selbst Butejew brach gegen Nachmittag die Untersuchung ab, bestimmte gegen den Protest Rachim Victorowitschs, daß das Haus ab sofort für die Allgemeinheit gesperrt werde und ließ den Polizisten Iwan Michailowitsch Gubenko als Bewachung zurück.
Das war ein Fehler, den aber niemand vorhersehen konnte. Wer ahnte schon in Bajkonur, daß der stramme und lenintreue Gubenko heimliches Mitglied einer geheimnisvollen Sekte war, die sich ›Jünger des Abendmahls‹ nannte und sich monatlich einmal nachts am Salzsee traf.
Gubenko hatte die Aussagen der Zeugen mit Interesse und innerem Schauern verfolgt. Für ihn stand außer Zweifel, daß Gott hier ein Wunder hatte geschehen lassen als sichtbares Zeichen dafür, daß er die ›Jünger vom Abendmahl‹ liebte, daß er sie segnete und daß der Stern, den er vom Himmel durch den Lebensmittelladen von Jakowlew rollen ließ, ein Ausdruck der Kraft sei. Habt Mut, sollte das heißen, ich bin bei euch … mein Stern beweist es euch! Warum er den Stern gerade durch das Haus des Mohammedaners Rachim Victorowitsch rollen ließ, gab zwar Rätsel auf – doch Gottes Ratschlüsse sind unergründlich und nicht kritisierbar. Immerhin war Weronika eine Christin und Rachim dadurch, daß er sie geheiratet hatte, eine Art Verräter am Islam.
Jakowlews Haus wurde also verschlossen. Gubenko saß im Wohnzimmer und nahm mit den unglücklichen Leuten das Abendessen ein, eine aufgewärmte Hammelschulter mit Reis. Dann trank er einen kleinen Krug Kwass und rauchte eine lange, dünne, schwarze Zigarre, die Jakowlew ihm auch noch spendierte.
»Kannst ja nichts dafür, Iwan Michailowitsch«, sagte Rachim Victorowitsch, »hast deine Befehle, mußt gehorchen wie der Ochs vorm Pflug. Iß und trink und rauch … wer weiß, wie lange du noch unser Gast sein kannst. Es braut sich Fürchterliches über unserm Haupt zusammen. Warum mußte die Feuerkugel ausgerechnet bei uns durchschweben? Konnte sie nicht um das Haus herum? Neben das Haus … Platz genug ist doch da! Aber nein … muß zur Ladentür herein und durch die Hintertür hinaus! Ich frage mich bloß, was wäre passiert, wenn die Hintertür nicht offen gestanden hätte? Hätte sie kehrt gemacht?«
»Gott hätte Rat gewußt, er weiß immer Rat …« sagte Gubenko feierlich und paffte den Zigarrenrauch gegen die Decke.
»Was hat Allah damit zu tun?«
»Wir Christen sind hier in der Mehrzahl, also war es unser Gott«, sagte Gubenko mit zwingender Logik. »Diese Kugel war ein Stern.«
»Ein Stern!« lachte Jakowlew auf. »Am hellichten Tag?«
»Du bist nicht gesegnet, Rachim Victorowitsch. Laß es dir gesagt sein. Warum verstehst du die Sprache des Himmels nicht? Wem ist schon ein Stern durch das Haus geschwebt? Nicht mal den Aposteln und Propheten!«
»O
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