Das Wunder von Bajkonur
Genosse.«
Bisti verließ das Zimmer, entledigte sich seines Regenmantels, stülpte eine Mütze aus Stanniol über seinen Kopf und ging unter den ehrfürchtigen Blicken der Anwesenden langsam durch den Laden, genau den Weg, den die flammende Kugel genommen hatte. Vor dem Dachdecker Saripow blieb er ruckartig stehen, legte seine Hand auf dessen Kopfhaar und sagte dumpf:
»Du hast es an den Nieren, Brüderchen …«
»Nein!« stotterte der brave Saripow. »Keine Beschwerden. Nichts, Genosse! Bin bis auf die Knochen gesund.«
»Die Nieren sind keine Knochen«, sagte Bisti dunkel. »Warte es ab! Die Strahlen jucken bei deinem Anblick auf meinen Nieren. Morgen, spätestens übermorgen, wirst du pinkeln wie ein Brünnlein.«
Saripow stöhnte leise auf, faßte sich nach hinten an seine Nieren und wurde bleich. Butejew starrte Dr. Slobin hilfesuchend an. Aber Slobin blickte verbittert aus dem Fenster und schwieg. Die Verachtung eines Scharlatans durch einen Akademiker ist immer noch die beste Waffe.
»Sie spüren die Strahlen?« keuchte Butejew.
»Etwas Geheimnisvolles ist um uns«, sagte Bisti feierlich und schloß die Augen. »Etwas Unerklärliches, Großes, Gewaltiges … Wenn ich hier stehe, spüre ich die Leiden meiner Umwelt. Es ist erschreckend, herzzerreißend. Die Krankheiten springen mich an wie Raubtiere. Ha, Dr. Slobin!«
»Was ist mit mir?« Slobin wirbelte herum. »Lassen Sie den Unfug, Bisti!«
»Sie haben's an der Prostata …«
»Ja! Seit zwei Jahren. Das haben Sie zufällig erfahren …«
»Und der Genosse Butejew …«
»Ich fühle mich wohl«, sagte Butejew schnell, aber seine Augen weiteten sich. »Was spüren Sie, Jefim Jefimowitsch?«
»Bei Ihnen ist es die Lunge …«
»Nein!« Butejew faßte sich an die Brust. Im gleichen Augenblick mußte er husten, starrte wie ein Erstickender hinüber zu Dr. Slobin und lehnte sich an die Wand, als könnte er ohne diese Stütze umfallen.
»Es geht schon los!« Bisti wedelte mit der Hand und legte dann beide Hände auf seine glitzernde Stanniolmütze. Er sah sehr beeindruckend aus. »Der Kosmos lügt nicht!« Er blickte sich um, sah Weronika Alexandrowna bleich hinter der Theke stehen und den Ehemann Jakowlew mit zerwühlten Haaren an der Hintertür. »Man sollte den Laden schließen! Das hier ist durch ein Wunder eine Stätte der Erkenntnis und der Heilung geworden. Ich werde hier einziehen und mich ganz in den Dienst der Strahlungen stellen. Wir sind dem Geheimnis des Lebens auf der Spur …«
»Ich gebe mein Geschäft nicht her!« schrie Weronika Alexandrowna. »Seit zweiunddreißig Jahren lebe ich hier!«
»Jetzt ist es von den himmlischen Kräften zur Weihstätte auserkoren worden«, sagte Bisti pathetisch und nahm seine Stanniolmütze ab. »Wollen Sie sich dagegen wehren, Genossin?«
»Ja!« schrie die Jakowlewa.
»Es ist zum Wohle des Volkes!«
»Alles nur Scharlatanerie«, knurrte Dr. Slobin. »Alles!«
»Sie haben in Ihrer Sprechstunde nicht erkannt, daß ich es an der Lunge habe, Waleri Nikolajewitsch!« sagte Butejew.
»Haben Sie es denn an der Lunge?«
»Seit eben spüre ich einen Druck und ein Brennen in der Brust.« Butejews Lippen zitterten. Er hustete wieder, starrte Bisti wie unter großen Qualen an, und man sah ihm an, daß die Angst ihn beutelte. »Vielleicht stimmt das mit den Strahlen wirklich. Ich erkläre das Haus der Familie Jakowlew vorerst als beschlagnahmt.«
»Protest!« brüllte Rachim Victorowitsch und hieb mit der Faust gegen die getünchte Wand. »Ich verlange die Gutachten von Experten!«
»Experten, wofür?«
»Für unbekannte flammende Kugeln, die herumschweben!«
»Wie kann es Experten für Unbekanntes geben, du Idiot«, sagte Butejew grob. »Das hier ist ein Phänomen.«
»Dann beantrage ich die Untersuchung des Phänomens.«
»Wie kann man etwas untersuchen, was nicht mehr da ist!«
»Ich widersetze mich einer Beschlagnahme meines Hauses!« schrie Jakowlew. »Ich beantrage eine Kommission aus Karaganda.«
Das war genau das, was Butejew nicht wollte. Das hier war seine feurige Kugel, von ihm aus jetzt sogar sein Wunder; da hatte kein anderer daran herumzukratzen, am wenigsten die Genossen aus Karaganda, die sowieso immer so hochmütig auf die ehrbaren Bürger der Steppenorte herabblickten. Das Wunder von Bajkonur mußte man ausbauen und festigen, ja, geradezu betonieren, ehe man es der staunenden Welt bekanntgab.
»Nur Ruhe, meine Lieben«, sagte Butejew sanfter als er fühlte. »Man kann ja
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