Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Fahrerin.
Berit trug ihr Haar heute weich ins Gesicht gekämmt, der leicht nach innen geföhnte Pony ließ gerade genug Diana-Blick zu, um verletzlich, aber nicht gänzlich hilflos zu wirken.
Kalle verfiel ihren klaren grünen Augen vollkommen.
»Nein, lass mal, so kompliziert ist das ja nicht«, beschied Gina den Knaben. Sie atmete auf, als Berit den Wagen wieder anließ und an den Jungs vorbeisteuerte. Berit winkte den Kids noch kurz fröhlich zu.
»Schließ die Kiste bloß gleich gut ab«, warnte Gina. »Nicht, dass sich noch ein Liebhaber dafür findet. Wir hätten wirklich besser mein Auto genommen. Guck mal, da ist der Laden.«
Igor Barhaupts Eisenwarenhandlung lag in einem der typischen Grauenfels’schen Häuser, verriet aber den Optimismus ihres Inhabers. Die Schaufenster waren bunt dekoriert – ein himmelblauer Rasenmäher prangte auf quietschrosa Krepppapier, Werkzeuge mit bunten Griffen waren zu einem fantasievollen Mosaik zusammengelegt. Auch Barhaupts Glaube an die Werbung manifestierte sich an jeder Ecke, wobei er sich hemmungslos bei allen erfolgreichen Kampagnen der letzten Jahrzehnte bediente. Über dem Geschäft prangte der Slogan Erst mal sehn, was Barhaupt hat!. Das Schild Klempnerei war mit Barhaupt macht’s möglich aufgepeppt. Darunter stand: Wir fahren meilenweit für Ihren Rohrbruch!
Gina und Berit prusteten los.
»Vor dem Copyright scheint er nicht viel Respekt zu haben«, sagte Gina lachend.
»Gefällt’s Ihnen? Ist vielleicht nicht ganz so perfekt wie das, was so’n Kreativ-Dings macht, aber auch nicht so trist wie früher. Für Tipps bin ich natürlich offen. Sie sind doch die Damen von BeGin, oder?« Ein großer, kräftiger Mann mit breitem, aufgeschlossenem Gesicht und imponierendem Vollbart war aus dem Laden getreten. »Ich bin Igor Barhaupt.«
Der Mann streckte Berit die Hand entgegen, wobei Berits zierliche Rechte vollständig in seiner schwieligen Pranke verschwand. Gina begrüßte unterdessen den altdeutschen Schäferhund, der sich im Gefolge seines Herrn genähert hatte. Wie sein Besitzer beeindruckte er durch enormen Haarwuchs und gewaltige Pfoten.
»Das ist Rex«, stellte Barhaupt den Hund vor. Rex hinterließ einen Sabberstreifen auf Ginas Armani-Jeans. »Er tut nichts, er tropft nur. Und auch das nur bei Leuten, die er mag.«
»Dann läuft ihm sozusagen das Wasser im Mund zusammen«, raunte Berit und entzog sich nachdrücklich Rex’ Zuwendungen. Gina sah das nicht so eng. Sie mochte Hunde. Die Hand auf Rex’ Riesenschädel gelegt, folgte sie Barhaupt zunächst durch den Laden, dann in seine Wohnung. Das mit Nippes vollgestellte Wohnzimmer wies ein Fenster zum Innenhof auf. Der Hof wirkte überraschend attraktiv. Barhaupts hatten ihn mit Blumen bepflanzt und zusätzlich ein paar Gartenbeete angelegt.
»Sieht nett aus«, lobte Gina. »Von außen sind die Häuser hier ja nicht so schön, aber ich habe mir gleich gedacht, dass man aus den Innenhöfen was machen kann.«
»Zum Teil sind es kleine Schmuckstücke«, meinte Barhaupt.»Meine Frau nennt unseren ›Klein-Mallorca‹. Unser Urlaubsersatzort sozusagen. Wir gehen raus und sind im Grünen. Und das hier ist noch gar nichts, andere Höfe sind viel schöner gestaltet. Viele Leute haben ja nichts anderes mehr zu tun … siebzig Prozent Arbeitslose, wie gesagt. Aber wenn wir Touristen herkriegen, könnten sie vielleicht Biergärten in den Höfen eröffnen. Oder Cafés. Wir könnten auch in der Stadt eine Menge tun, wenn wir die Mittel hätten. Haben Sie den Brunnen auf dem Dorfplatz gesehen? Den gibt es durch eine Bürgerinitiative.« Barhaupt sah Berit und Gina Beifall heischend an.
»Schön«, meinte Berit. »Nur … Es wird kaum jemand nach Grauenfels kommen, bloß um sich Innenhöfe anzugucken und ein Bier zu trinken. Selbst dann nicht, wenn die Fassaden ein bisschen bunter werden. So aufregend ist die Architektur nun auch wieder nicht. Was Sie brauchen, sind touristische Attraktionen. Interessante Landschaften, Museen, Erlebnisparks …«
»Erlebnisparks?«, fragte Barhaupt verwundert. »Also wir hatten schon mal jemanden hier, der einen Kletterpark aus dem Steinbruch machen wollte. Aber das ging dann nicht. Das Gestein ist zu weich – und wasserdurchlässig ist es auch, deshalb wurde nichts aus der Idee mit der Endlagerstätte für Atommüll. Mein Vorgänger hat das angeleiert. Aber die Prüfungen ergaben, dass es unmöglich ist.«
»Ihr Vorgänger wollte hier ein Endlager für Brennstäbe
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