Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
sehen? Die Gebäude sind alle zu verkaufen, aber bisher interessiert sich niemand dafür. Da können Sie auch selbst hinfahren. Die Straßen sind in Ordnung, gleich hinter dem Ortsschild links.«
Gina und Berit versicherten ihm, keine weitere Führung zu brauchen. Deprimiert stiegen sie wieder in den Opel. Rex tropfte tröstend auf Ginas Blazer.
»Sie waren nicht so begeistert, was?«, fragte Barhaupt, als sie schließlich wieder die Aldi-Filiale passierten. »So viel hat Grauenfels bis jetzt nicht zu bieten. Aber das könnte anders werden. Wirklich. Die Leute hier haben viel Gemeinsinn. Vor der Grenzöffnung waren wir ein ganz fröhlicher Haufen. Was meinen Sie, was wir zu Stande gekriegt haben. Unser kleines Mallorca, da haben wir Feste gefeiert, dass sich die Balken bogen. Und wenn jemand was zu machen hatte, am Haus oder so, haben die Nachbarn geholfen. Einmal haben wir Farbe für das evangelische Jugendzentrum aus dem Westen organisiert. An allen Spitzeln vorbei. Angeblich hatte sie der Apotheker vom Baikalsee mitgebracht. Wir haben dann immer die sowjetische Fabrikation gelobt. Blätterte viel später ab als DDR-Farbe. Aber jetzt … Zuerst fuhren die Leute ins richtige Mallorca. Aber danach war das Geld weg, und nun sitzen sie hier fest. Mit Fernweh trotz offener Grenzen und Heimweh nach der Welt von früher. Aber irgendwie mag ich nicht aufgeben. Aus Grauenfels muss was zu machen sein. Deshalb wollte ich ja gerade, dass Profis sich das ansehen.«
»Na ja, aber Wunder wirken können wir auch nicht«,druckste Berit. »Ich weiß nicht, ob das was wird, mit dem Tourismus.«
»Aber Sie sehen auch nicht ganz schwarz, oder?« Barhaupt warf den beiden einen flehenden Blick zu. »Sie überlegen sich was, ja?«
Barhaupt hielt vor seinem Laden und öffnete die Beifahrertür für Berit. Das ging nur mit Brachialgewalt. Auch der Opel hatte schon bessere Zeiten gesehen. Gina und Rex stemmten die hintere Tür allein auf. Schließlich verabschiedeten sie sich vor dem himmelblauen Rasenmäher. Selbst Berit ließ sich herab, Rex’ Riesenkopf kurz zu tätscheln. Herr und Hund schauten die Freundinnen gleichermaßen vertrauensvoll an. Noch einmal quetschte Barhaupt Ginas Finger. »Darf ich Sie anrufen? Nächste Woche?«
»Nächste Woche«, versprach Gina mit halbem Lächeln.
Berit atmete auf, als sie Grauenfels endlich hinter sich ließen. »Da haben wir uns ja was Schönes eingebrockt. Willst du wirklich noch zu dieser LPG fahren?«
»Bloß nicht. Das würde mir den Rest geben. Bring uns nur schnell nach Hause. Verglichen mit den negativen Schwingungen dieses Ortes wird uns unser Büro wie ein Feng-Shui-Paradies vorkommen.« Gina schloss entnervt die Augen.
»Aber wir haben ihm versprochen, uns was einfallen zu lassen.« Berit hatte eben den Hügel vor der Stadt erreicht und hielt auf dem Gipfel nochmals an. Vielleicht brachte die Gesamtansicht von Grauenfels doch noch den entscheidenden Einfall.
»Gefangenenlager?«, überlegte Gina. »Truppenübungsplatz für zukünftig in Wüstenregionen eingesetzte Streitkräfte? Um hier Touristen hinzulocken, brauchten wir entweder eine UFO-Landung oder eine Marienerscheinung.«
»UFO-Landung? Müssten schon ziemlich belämmerte Außerirdische sein, wenn sie ein paar Lichtjahre weit fliegen, umnach Grauenfels zu kommen.« Berit startete das Auto erneut. »Mit der Marienerscheinung könnten wir mehr Glück haben. Die Dame zeigt ja ein Faible für eher abgelegene Orte. Wer hatte vorher schließlich was von Lourdes gehört oder Fátima? Fragt sich nur, wo man die buchen kann.«
»Im Zweifelsfall im Internet.« Gina lachte. »Rentamary.com. Gar keine schlechte Idee, übrigens. Du, wenn’s das noch nicht gibt, sollte man es glatt erfinden …«
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Maria aus dem Netz
D er nächste Tag in der Agentur gestaltete sich so öde wie die Tage zuvor – mal abgesehen davon, dass die Feng-Shui-Expertin vorbeikam, sich dreimal für die gelungenen Prospekte bedankte und gleich mit der Vergütung in Beratungsform anfing. Nachdem sie diverse Vasen und Springbrunnen im Büro verteilt und ein paar Möbel umgestellt und mit Tüchern verkleidet hatte, wirkte das Interieur wie das Vorzimmer eines drittklassigen Bordells. Immerhin räkelte sich der Glücksdrache laut Angabe der Expertin zufrieden auf einem der Tür zugewandten und mit einem farbigen Läufer verschönten Regalbrett.
Ginas Angebot, ihm bei Gelegenheit mal eine Dose Hundefutter mitzubringen, quittierte die Dame mit einem
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