Das Wunder von Treviso
war, um Salami, Käse und gefüllte Tomaten zu verspeisen. Wäre nicht Salvatore Tarlo an diesem Tag auf die Idee gekommen, dass die Kirche von Treviso dringend eines neuen Anstrichs bedurfte, Francesco de Renzi hätte es beinahe bei Tageslicht geschafft, allein in das Innere der Kirche vorzudringen. So aber lud de Renzi den Bischof auf eine Portion Pasta al pomodoro bei Massimo ein und erzählte von seinen Abenteuern als Kommissar des Vatikans im fernen Brasilien.
5
«Ja, aber ist das nicht eine etwas, wie soll ich es ausdrücken,
drastische
Maßnahme?» Der Bischof war sich nicht ganz sicher, ob er de Renzis Vorhaben gutheißen konnte, immerhin könnte das Kunstwerk dabei Schaden erleiden. Doch Francesco de Renzi ließ keinen Widerspruch gelten.
«Nein, Bischof, der Wahrheit muss Genüge getan werden. Eine Röntgenuntersuchung ist die einzige Möglichkeit, um einer möglichen Scharlatanerie aufdie Schliche zu kommen. Sehen Sie, Bischof, ich arbeite schon sehr lange in diesem Bereich und habe die unglaublichsten Dinge gesehen: Darunter war nicht ein einziges echtes Wunder Gottes! An der Echtheit der weinenden Madonna von Treviso gibt es so viele berechtigte Zweifel, dass ich sie hier gar nicht alle aufzählen kann. Nein, ich bestehe darauf, eine Röntgenuntersuchung ist in diesem Fall unerlässlich.»
Das sah Bischof Santini ein. Immerhin hatten die Einwohner Trevisos ihr Bestes gegeben, um den Kommissar von der Madonna fernzuhalten, und das musste ja früher oder später Verdacht erwecken.
In der Tat war man in Treviso sehr enttäuscht über den Umstand, dass man Francesco de Renzi zwar von morgens bis abends verköstigt und belustigt hatte, als wäre er der längst verloren geglaubte Cousin aus Übersee, der nach Jahrzehnten den Weg zurück in die Heimat findet, dass dies aber wenig gefruchtet hatte.
De Renzi hatte sich glänzend amüsiert, bis der Bischof aufgekreuzt war, doch nun war er offenbar der Ansicht, dass er tun musste, was von ihm verlangt wurde. Ja sicher, man hatte ihn eingeladen, ihn freundlich behandelt, ihm Speisen, Getränke und allerhand sonst gereicht, aber er war davon überzeugt, dass man dies nicht aus reiner Gastfreundschaft oder gar Sympathie getan hatte, sondern aus Berechnung. Damit tat er den Trevisanern aber unrecht: Natürlich wollten sie ihn von seinem Vorhaben abbringen, das Wunder der weinenden Madonna aufzudecken, aber sie taten dies aufeine besonders liebenswürdige Art und Weise. Dass de Renzi dies nicht zu schätzen wusste, kränkte ihr Gerechtigkeitsempfinden, denn nach Ansicht der meisten Trevisaner konnte man das eine Vergehen durch eine andere Tat wiedergutmachen. Das war immerhin das Prinzip der Buße, wie es die katholische Kirche predigte.
Dass Francesco de Renzi nun verlauten ließ, er beabsichtige, eine intensive Untersuchung der Madonna bereits am nächsten Tag durchzuführen, wozu auch eine Röntgenuntersuchung, die er unter örtlichen Gegebenheiten vornehmen lassen wollte, und die Entnahme einer Probe der blutroten Tränen gehörte, sorgte in Treviso für Unbehagen bei den Leuten. Und auch bei Don Antonio, dem bis dahin immer noch keine zündende Idee gekommen war, wie man Francesco de Renzi von der Echtheit des Wunders von Treviso überzeugen konnte. Beinahe begann man dafür zu beten, es möge ein weiteres Wunder geschehen und alles gut werden.
6
Das Wunder geschah, denn Salvatore Tarlo hatte eine Idee. Sie war ihm nachts im Schlaf gekommen. Am Tag zuvor hatte er den Zahnarzt von Castello aufsuchen müssen, weil ihn die rechte untere Kieferhälfte schmerzte, und der Arzt hatte durch ein Röntgenbild festgestellt,dass Salvatore noch alle vier Weisheitszähne besitze und man diese leider entfernen müsse.
Nun wusste Salvatore ziemlich genau, dass derselbe Zahnarzt ihm erst drei Jahre zuvor den letzten Weisheitszahn gezogen hatte. Er erinnerte sich deshalb so gut daran, weil er nach dieser Behandlung eine ganze Woche lang krank im Bett gelegen hatte und ihm dadurch ein profitabler Auftrag entgangen war, bei dem er nicht weniger als fünfzehn geschnitzte Delphine an ein Altenheim in Padua hätte liefern sollen. Diese waren stattdessen von einem Versandhaus aus Übersee bezogen worden.
Wie sich herausstellte, hatte der Arzt die Röntgenbilder vertauscht, und in Wirklichkeit hatte Salvatore lediglich ein Loch in einem Backenzahn, während eine andere Patientin nun leider ihre Weisheitszähne verlieren würde. Und genau das brachte Salvatore Tarlo auf eine
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