Das Wunder von Treviso
zehneinhalb Minuten in Anspruch. Es war daher von Vorteil, dass der Schwager Marias und Don Antonios zum Telefonhörer griff, als er den Wagen mit dem vatikanischen Kennzeichen vorbeifahren sah, und im Pfarrhaus von Treviso anrief, um Don Antonio zu warnen, denn ab diesem Zeitpunkt hatte er, wie gesagt, nur noch zehneinhalb Minuten Zeit, sich auf das Ankommen des Abgesandten seelisch vorzubereiten. Diese Zeitspanne reichte aus, um in einen Zustand verzweifelter Panik zu verfallen, und das war in jedem Fall eine berechtigte Reaktion.
Don Antonio raffte all seine Selbstachtung zusammen und rief Maria, während er durch die Hintertürflüchtete, zu, sie solle de Renzi eine Weile aufhalten, er müsse noch einmal dringend weg. Und schon war er hinausgelaufen und in Richtung Kirche verschwunden. Etwas außer Atem kam Don Antonio in der Krypta an.
«Du musst mir helfen!», platzte es aus ihm heraus.
«So, muss ich das?», fragte Don Ignazio, der mit skeptischem Blick auf einem Steinsarg hockte.
«Dieser vatikanische Kommissar ist im Anmarsch, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.»
Don Ignazio wippte ein wenig mit dem Kopf. Er war es ja beinahe schon gewohnt, dass man ihn in hoffnungslosen Fällen konsultierte, aber dieser hier schien besonders hoffnungslos zu sein.
«Na, das fällt dir aber früh ein. Da hättest du dir schon vorher etwas überlegen können. Wenn du meinen Rat willst, mein Sohn, dann pack jetzt deine Sachen und freu dich auf einen Lebensabend im sizilianischen Nonnenkloster. Gute Reise!»
Doch Don Antonio war eindeutig nicht zu Scherzen aufgelegt. Ihm stand das Wasser bis zum Hals, und es musste eine Alternative zum Ertrinken geben.
«Das ist nicht dein Ernst! Jetzt denk nach, alter Mann, was kann ich tun, um de Renzi aufzuhalten?»
Don Ignazio sah zu seinem ehemaligen Schützling hinüber.
«Hast du gerade
de Renzi
gesagt?»
«Jawohl, Francesco de Renzi, seines Zeichens Gesandter im Auftrage der päpstlichen Kurie, mir den Garaus zu machen!»
«Seltsam», murmelte Don Ignazio, «ich kannte mal einen de Renzi. Aber das ist lange her …» Er kaute gedankenverloren an seinen Fingernägeln. Dann sagte er: «Wie viele Pilger sind gerade oben in der Kirche versammelt?»
«Keine Ahnung. Eine Gruppe aus Coimbra müsste heute Morgen angekommen sein, etwa sechzig Leute. In einer Stunde ist Messe. Warum fragst du?»
«Herzlichen Glückwunsch, mein Sohn», und Don Ignazio strahlte ihn an, «du wirst deine erste Messe auf Portugiesisch halten!» Und noch bevor Don Antonio fragen konnte, was der damit meinte, hatte er auch schon verstanden und rannte einen Stock höher in den Kirchenraum, um den leicht irritierten Pilgern zu eröffnen, dasch man einen hohen Gascht ausch dem Vatikan erwarte, den man ganzsch herzschlisch begrüschen schollte und dem zschu Ehren esch jetscht eine Schondermesche gäbe – em Português!
2
Ein großer schwarzer Wagen fuhr durch Treviso und suchte seinen Weg zu Don Antonios Haus. Vorbei an Vitos Supermercato und Luigis Friseursalon überquerte er den Hauptplatz, ließ das Rathaus rechts- und die Kirche linksseitig liegen, bog um die Ecke von Massimos Trattoria und Hotelbetrieb und fuhr schließlich auf derEinfahrt des Pfarrhauses vor. Ihm entstieg ein streng aussehender Herr in Schwarz, dessen hageres Gesicht wenig Begeisterung für die Schönheiten Trevisos zu zeigen schien. Francesco de Renzi hatte eine sehr verschlossene Seele. Er konnte sich nur für wenige Dinge im Leben begeistern, und Landschaften im Januar gehörten nicht dazu, ebenso wenig wie Mitmenschen jeglicher Art. Francesco de Renzi hatte als Kind einmal einen Hund gehabt, den er sehr liebte. Es war die größte emotionale Bindung, die er je zu einem anderen Wesen eingegangen war. Seit der Labradormischling gestorben war, hatten es weder Mensch noch Tier geschafft, wieder so weit zu seinem Inneren vorzudringen.
Ob Sonnenauf- oder -untergänge , kleine Kinder oder Hundewelpen, nichts und niemand fand seinen Weg in das Herz von Francesco de Renzi, denn er hasste nichts mehr als das Klischee. Dennoch hatte er eine verborgene Leidenschaft entwickelt, von der niemand wissen durfte, weil sie seinem Amt so wenig angemessen war: Francesco de Renzi liebte Popmusik. Mit Orgeltönen konnte er nichts anfangen, Klaviersonaten ließen ihn kalt, Geigen lösten Magenkrämpfe in ihm aus, und beim Ton einer Klarinette bekam er Schweißausbrüche. Aber sobald sein Fahrer einen Popsender im Autoradio eingestellt
Weitere Kostenlose Bücher