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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Falk
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bitten darf – hier entlang.»
    Damit schob sie den etwas verblüfften de Renzi sanft, aber bestimmt auf den Weg zum Haus ihres Bruders und verwickelte ihn in ein Gespräch über die regionalen Delikatessen von Treviso. Don Antonio beeilte sich, den beiden nachzulaufen, und konnte sich einer gewissen Bewunderung für seine Schwester nicht erwehren. Als er jedoch hörte, wie Maria Francesco de Renzi vom hervorragenden Weinsortiment der örtlichen Enoteca vorschwärmte und ihn aufforderte, dort doch bei seinem Besuch einzukehren, war er sich sicher, dass sie verdammt sei, denn diese Lüge war eine größere Sünde, als er sie je begangen hatte. Dagegen nahm sich die präparierte Madonna wie ein harmloser Bubenstreich aus.

4
    Francesco de Renzi kam heute nicht mehr dazu, sein Gutachten zur weinenden Madonna von Treviso zu erstellen. Er kam auch am nächsten Tag nicht dazu, ebenso wenig wie am übernächsten. Was zunächst nach einem einfachen Fall ausgesehen hatte, entpuppte sich dank der emsigen Bewohner Trevisos, die ihn mit allen möglichen Anliegen, Wünschen, Einladungen und Verpflichtungen überhäuften, als weit schwieriger zu erforschen,als er es eingangs vermutet hätte. Doch diese Ortschaft war entweder die gastfreundlichste, die er je gesehen hatte, oder aber das hinterhältigste, korrupteste und sündhafteste Nest der Welt.
    An jenem Mittwoch wurde er im Haus des Pfarrers Don Antonio mit Unmengen an vermeintlichen Spezialitäten gemästet, die abzulehnen ihm einfach unmöglich war, denn die aufdringliche Schwester des Pfarrers ließ ihn kaum zu Wort kommen, geschweige denn Luft holen, da sie ihm einen Käse nach dem anderen servierte, ihn mit Wein abfüllte und dazu noch allerhand Salami, Oliven, Brot und Obst auftischte. Als er sich endlich erheben und mit seiner Untersuchung beginnen wollte, musste er zu seinem Erstaunen hören, dass nun das Mittagessen serviert sei. Danach war er derart erschöpft, dass er sich tatsächlich zu einer Mittagsstunde überreden ließ, denn ohne ihn zu fragen, hatte man bereits bei Massimo ein Zimmer reserviert und sein Gepäck dorthin geschafft.
    Kaum war er aber in der Trattoria angekommen, lud man ihn unaufgefordert zu einem Aperitivo ein und zwang ihn, ein weiteres Glas Rotwein, einen Grappa und einen undefinierbaren Kräuterlikör zu trinken. Dazu gab es verschiedene Häppchen und Salzgebäck und schließlich die Einladung zum Abendessen. Nur mit Mühe konnte de Renzi die Leute davon überzeugen, dass er sich einen Augenblick frisch machen müsse. Man ließ ihn ungern ziehen und trank noch eine Runde auf sein Wohl, bevor man ihm endlich das Zimmer zeigte.Kaum war er allein, sank Francesco de Renzi auf sein Bett und erwachte erst, als es bereits dunkel war. Als er bei Massimo den Wunsch äußerte, die Madonna zu inspizieren, teilte der ihm mit Bedauern mit, dass die Kirche von Treviso des Nachts nicht beleuchtet sei, da es an Geld fehle, die Lichtanlage zu reparieren. Tatsächlich hatte es einen Kabelbrand in der Lichtanlage gegeben, nachdem Maria alle fehlenden dreiundzwanzig Glühbirnen wieder eingeschraubt hatte. Nun zündete man stattdessen Kerzen an, doch bei Kerzenschein war keine vernünftige Untersuchung des Wunders möglich, und darum blieb es vorerst bei der Betrachtung der weinenden Madonna aus sicherem Abstand.
    Das Ganze wiederholte sich auch in den nächsten zwei Tagen: Er nahm an der Morgenmesse teil und warf währenddessen einen kurzen Blick auf die weinende Madonna von Treviso, aber noch bevor er auch nur in die Nähe der Figur kam, hatte man ihn bereits zum Essen eingeladen und aus der Kirche entfernt. Natürlich kam ihm dieses Verhalten verdächtig vor, de Renzi war schließlich kein Narr, aber bald schon begann er, die Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte, ein wenig zu genießen. Man war ausgesprochen nett zu ihm, ja, man buhlte beinahe um seine Gegenwart, und gerade weil dies in Francesco de Renzis Leben etwas ganz und gar Unübliches war – er hatte nie viele Freunde gehabt und galt auch sonst von Kindesbeinen an als kein sonderlich geselliger Mensch   –, verfehlte das Verhalten der Trevisaner nicht seine Wirkung.
    Es wäre wohl dabei geblieben, wäre am vierten Tag nicht Bischof Santini auf den Plan getreten, geplagt von Selbstvorwürfen über sein Verhalten dem armen Don Antonio gegenüber, den er im Stich gelassen hatte. Sofort fragte er de Renzi nach den Fortschritten bei seiner Untersuchung und erinnerte ihn damit daran, dass er nicht hier

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