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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Falk
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hatte, entspannte sich de Renzis gesamte Muskulatur, wippte sein Fuß im Verborgenen des Wagenfonds heimlich mit, trommelten seine Finger den Rhythmus der Songs und formten seine Lippen still die Worte eines Hits mit. Francescode Renzi liebte alles, was billiger Pop war, und sein Chauffeur sah in ihm den großzügigsten Menschen der Welt, denn sein Vorgesetzter verlangte nie, dass er während ihrer langen Autostunden einen anderen Sender einstellte, obwohl die Top 40 doch ganz sicher nicht die Musikausrichtung eines vatikanischen Abgesandten sein konnten.
    Und so entstieg Francesco de Renzi seinem schwarzen Wagen an diesem Morgen des 20.   Januar mit den Klängen von «Cry me a river» von Justin Timberlake im Ohr, während er pflichtschuldig Maria die Hand gab und sich nach ihrem Herrn Bruder erkundigte.

3
    Er war einiges gewohnt, aber diese Messe übertraf seine kühnsten Befürchtungen bei weitem. Noch nie hatte Francesco de Renzi es erlebt, dass ein Pfarrer und seine Gemeinde so aneinander vorbeiredeten, jedenfalls nicht seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Gläubigen verstanden ganz offensichtlich kein Wort von dem, was Don Antonio von sich gab, denn wer hätte hinter den Worten «Honore schei Gottsch insch der Hösche!» schon eine Aufforderung zur Ehrung des Allmächtigen vermutet und hinter der «Schtoria von Jeschusch und den zwei Bacalhau» die Geschichte von der Speisung der Fünftausend?
    Don Ignazios Plan ging tatsächlich auf, und der lautete schlicht: Wenn du eine Katastrophe verhindern willst, dann stifte Verwirrung. Das tat Don Antonio nach Leibeskräften. Frei nach dem portugiesischen Idiom sch-te und zischte er, dass es eine Freude war, nur hatte seine seltsame Aussprache nicht das Entfernteste mit wirklichem Portugiesisch zu tun. Das fiel nach spätestens zwei Sätzen auch den Pilgern aus Coimbra auf, aber aus Höflichkeit wagte keiner, den Pfarrer auf seine mangelnden Sprachkenntnisse hinzuweisen. Also machte dieser munter weiter und brachte es sogar fertig, die Gläubigen zum Mitsingen eines «Kirschenfadosch», also eines Kirchenliedes, aufzufordern.
    Die wenigen Trevisaner, die während der Messe anwesend waren, machten sich ihre ganz eigenen Gedanken über das seltsame Verhalten ihres Pfarrers. Rosa Fiorentini, selbst Trägerin eines Kassengestells aus dritten Zähnen, war davon überzeugt, dass der Pfarrer ein schlechtsitzendes Gebiss trug, während Ernesto Brasini sich ganz sicher war, dass Don Antonio schlichtweg betrunken war, was ihm deutliche Kritik der anwesenden Damen und den Kommentar, wer im Glashaus sitze, solle nicht mit Steinen werfen, einbrachte. Ernesto wiederum goutierte dies mit der Bemerkung, er sitze hier nicht im Glashaus, sondern in der Kirche, und das sei ein Unterschied, den er selbst nach zwei Flaschen Wein noch erkennen könne.
    Maria, die im Hintergrund der Kirche auf der letzten Bank Platz genommen hatte, sah ihrem Bruder mitErstaunen dabei zu, wie er sich um Kopf und Kragen redete, um de Renzi von der weinenden Madonna abzulenken, was ihm zunächst auch gelang, denn nach der Messe, die Don Antonio mit einem lauten «Deiusch schegne eusch» beendete, brauchte der Gesandte des Vatikans erst einmal ein wenig frische Luft und verabsäumte es dadurch, einen intensiveren Blick auf die Madonna zu werfen, die ohnehin von sechzig fotografierenden portugiesischen Pilgern belagert wurde. Nach einigen Minuten trat Don Antonio aus der Kirche und ging auf seinen Gast zu, um ihn zu begrüßen.
    «Herzlich willkommen in unserer Gemeinde, Monsignor de Renzi!» Don Antonio hatte sein liebenswertestes Gesicht aufgelegt und streckte dem vatikanischen Besuch seine Hand zur Begrüßung entgegen, die dieser widerwillig ergriff, um dann in ironischem Unterton Don Antonio zu seinem außerordentlichen Sprachentalent zu gratulieren. Er, Francesco de Renzi, habe zwar kein Wort verstanden, aber er sei sich sicher, dass er da der Einzige sei, und in welcher Sprache der Pfarrer denn soeben gepredigt habe, denn Portugiesisch spreche er, de Renzi, sehr gut, und das habe es ja unmöglich sein können.
    «Mein Bruder ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Esperantoforschung», meldete sich Maria zu Wort. Und bevor noch einer der umstehenden Herren sein Erstaunen über diese Erklärung äußern konnte, fügte sie hinzu: «Monsignor de Renzi, es ist uns eine große Freude, Sie zum Mittagessen ins Pfarrhauszu bitten. Ihr Fahrer ist selbstverständlich auch eingeladen. Wenn ich

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