Das Wunder von Treviso
aus etwas anderem machen als aus Milch? Das hat es hier noch nie gegeben!»
Da half es auch nichts, dass die besagte Dame damit argumentierte, dass in Asien alle Menschen viel gesünder lebten und auch älter würden als in Europa. Vito brachte es nicht über sich, ein Produkt in sein Sortiment aufzunehmen, das nur so tat, als wäre es Joghurt.Weil er sich aber nicht nachsagen lassen wollte, dass er seine Kunden nicht zufriedenstellen konnte, bot er ihr zum Ersatz einfach zwei Packungen Kekse an – gratis! Doch als die Kundin nun noch seine Kekse verschmähte und stattdessen kopfschüttelnd seinen Laden verließ, kam es Vito so vor, als ob sich über ihm eine dunkle Wolke zusammenzog. Wo hatte es das je gegeben, dass jemand Gratiskekse ablehnte? Die Welt geriet aus den Fugen.
Derlei Dinge kamen immer öfter vor. Kunden wollten Waren kaufen, die man beim besten Willen nicht mehr als legal bezeichnen konnte, wie zwei schottische Studenten, die tatsächlich Ravioli aus der Dose verlangten. Oder man verstand sie schon von vornherein nicht, weil sie ihre Wünsche in den unmöglichsten Sprachen der Welt äußerten, wie die vier moldawischen Herren von letzter Woche, denen es nach Trockenfisch und Wodka gelüstete. Zwar machte sein Laden nach wie vor enormen Umsatz, und Anna dachte mittlerweile sogar über den Bau eines Wintergartens nach, aber Vito begann eine Ahnung davon zu haben, wie sich eine chronische Magenschleimhautreizung anfühlte, und das war so ziemlich das Letzte, was er noch erleben wollte, denn es bedeutete, dass er zwar mehr Geld verdiente als je zuvor, jedoch keine der Speisen mehr vertrug, die er für gewöhnlich gerne zu sich nahm. Er hatte sogar schon vier Kilogramm abgenommen, und welcher anständige Mann tat so etwas?
Vito warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf die Schokoladenriegelbei der Kasse, seufzte angesichts des ihm auferlegten Verzichts und bediente stattdessen eine übergewichtige Dame aus Kalamata, die sich über die vermeintlich mindere Qualität des hiesigen Olivenöls beschwerte.
11
Es war nicht so, dass Luigi seine Liebe zu Maria verheimlichen wollte, nein, das Gegenteil war der Fall. Er war glücklich und ließ andere gern daran teilhaben. Dennoch wünschte er sich, dass seine Kundinnen sein Privatleben etwas mehr respektierten, wovon diese jedoch weit entfernt waren. So ging es zwischen Trockenhauben und Wartesesseln heiß her, wobei nicht wenige Aussagen darauf abzielten, eher von Luigi als von der jeweiligen Gesprächspartnerin vernommen zu werden, zumal die mehr oder minder schwerhörigen Damen sich ihre Fragen und Antworten meist zuschrien anstatt zuflüsterten. Hatte er, Luigi, eigentlich schon immer so gut ausgesehen? Und hatte man nicht immer wieder betont, dass so ein schmucker Mann wie er bald eine Frau finden würde? Oder hatte es sich gar umgekehrt verhalten, und die Frau hatte ihn erobert? Was sagte überhaupt der Pfarrer dazu? Und wann würden sie beide denn heiraten?
Auch wenn Luigi sich alle Mühe gab, auf die herzlichenwie aufdringlichen Fragen nichtssagende Antworten zu geben, so hatte ihn die letzte Frage, um ganz ehrlich zu sein, doch ein wenig aus dem Konzept gebracht, denn er hatte sie sich bislang noch nicht gestellt. Jetzt aber schien es ihm die logische Folge der vorangegangenen Wochen zu sein, und er fragte sich, ob Maria nicht auch erwartete, dass er ihr einen Heiratsantrag machte. Immerhin schlief er mit ihr, da war so etwas doch durchaus üblich. Gedankenverloren zupfte er mit dem Kamm an der Föhnwelle von Eleonora Corrisi herum, einer älteren Cousine ersten Grades von Vito Corrisi.
«Das werden Sie doch, nicht wahr?», fragte sie ihn mit dem neugierigen Augenaufschlag einer Fünfundachtzigjährigen, die vergessen hatte, dass sie keine siebzehn mehr war.
«Äh … bitte?», fragte Luigi.
«Na, Sie machen doch sicher eine Hochzeitsreise. Ich war mit meinem zweiten Mann damals in Palermo. Ach, Luigi, ich sage Ihnen: Sizilien im Frühsommer! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie …» Vor Erstaunen hätte Luigi beinahe die kunstvoll aufgetürmte und mit Haarspray betonierte Frisur von Signora Corrisi zerstört. Sizilien. Im Winter. Er und Maria. Auf Hochzeitsreise.
«Einen Augenblick bitte, Signora, ich bin gleich wieder bei Ihnen.» Damit ging Luigi mit schnellen Schritten in den hinteren Teil seines Salons und trank in der kleinen Küche hastig ein Glas Wasser. Wer hätte das gedacht? Er würde noch einmal heiraten! Ja, er, ausgerechnet
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