Das Zauberer Handbuch
zwischen zehn und zwanzig Euro hinlegt, soll unterhaltend sein, im besten Fall inspirierend, auf jeden Fall aber fesselnden Lesestoff bieten. Gelingt dies nicht, hat der Autor seine Hausaufgaben nicht gemacht und »nicht abgeliefert«, wie es im Jargon der Castingshows so schön und treffend heißt. Deshalb sei es an dieser Stelle ganz deutlich gesagt: Die dramaturgischen Regeln zu beachten und seinem Werk einen soliden Spannungsaufbau zu geben, hat nichts mit fehlendem Einfallsreichtum oder gar Trivialität zu tun, sondern damit, seinen Leser ernst zu nehmen und ihm ein abwechslungsreiches und zufriedenstellendes Leseerlebnis zu verschaffen. Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen wir uns dabei richten, sind in der Menschheitsgeschichte über Jahrtausende hinweg tradiert worden – Erfahrungswerte, die unzählige Geschichtenerzähler vor uns gesammelt haben und von denen wir profitieren können. Deshalb ist es nur von Vorteil, sich für einen Moment klarzumachen, in welcher Tradition wir uns bewegen.
Wie eingangs erwähnt, sind wir gerade in der Fantasy sehr nah an jenen Geschichten, die den Urquell nicht nur jeder Erzählung, sondern im Grunde jeder Überlieferung darstellen – den Mythen. Bereits in grauer Vorzeit versuchten sich unsere Vorfahren überall auf der Welt ihre Herkunft, ihre Existenz und die ihrer Welt mit Geschichten zu erklären, die, wie wir heute sagen würden, phantastischer Natur waren: Von Göttern und Riesen war darin die Rede, von gewaltigen Sintfluten und großen Schlachten – und von menschlichen Helden, die sich allen Gefahren zum Trotz behaupteten und damit die Zivilisation begründeten, den Anfang der Geschichte.
Dem amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell kommt das Verdienst zu, erstmals systematisch strukturelle Vergleiche zwischen den Mythen dieser Welt angestellt zu haben – mit verblüffendem Ergebnis: Denn die Reise des Helden, wie er das große Abenteuer nennt, zu dem die Helden der Mythen aufbrechen, ähnelt sich in sämtlichen Kulturkreisen dieser Welt auf verblüffende Weise – und bildet damit ein verlässliches Grundgerüst nicht nur für jeden Fantasy-Roman, sondern für jede dramatische Handlung. Denn wir sind seit Jahrtausenden daran gewohnt, dass eine Geschichte damit beginnt, dass der Held aus dem gewohnten Umfeld gerissen wird, dass er sich auf die Suche nach einem Schatz begibt (bei dem es sich in anderen Genres auch um einen geliebten Menschen, um ein neues Leben oder um einen Serienkiller handeln kann) und diesen schließlich findet, nachdem er (im übertragenen oder wörtlichen Sinne) gestorben ist und als neuer Mensch geboren wurde. Diese eigentlich einfache Formel liegt unzähligen Romanen und Erzählungen und vor allem auch Filmen zugrunde, von DER ZAUBERER VON OZ bis STAR WARS. Gerade von George Lucas weiß man, dass er Campbells Forschungen sehr sorgfältig studiert hat, ehe er mit der Arbeit an seinem Sternenkrieg begann – die Lektüre ist daher jedem am Schreiben Interessierten dringend zu empfehlen. Denn auch sehr erfolgreiche Bücher, von HARRY POTTER bis TWILIGHT, folgen, ob nun bewusst oder unbewusst, dem von Campbell nachgewiesenen Muster.
Form vs. Inhalt
Das soll nun nicht heißen, dass ein (Fantasy-)Roman zwangsläufig simpel gestrickt sein muss, nur weil er sich auf eine im Grunde sehr alte und einfache Formel beruft – das geradezu Geniale an Campbells Mythenformel ist, dass sie sich bei näherer Betrachtung als universell einsetzbar und ungeheuer flexibel erweist. Problematisch wird es dann, wenn man Campbells eigentlich rein inhaltliche Feststellungen auf die Form eines Romans überträgt, der dann zwangsläufig sehr vorhersehbar und uninspiriert wirken muss. Vor allem auf den Film bezogen hat der Amerikaner Christopher Vogler aus Campbells Forschungsergebnissen allgemeingültige Regeln für das Schreiben abgeleitet, die er in Anspielung auf Campbells Forschungen THE WRITER’S JOURNEY nennt – die Reise des Autors. So anregend und wertvoll Voglers Ableitungen sind, letztlich verleiten sie dazu, die einzelnen Handlungselemente des Mythos, von denen es insgesamt zwölf gibt, nach dem Baukastenprinzip zusammenzustellen. Begünstigt wurde dies durch Drehbuchautor Syd Field, dessen auch in deutscher Sprache erschienenes Buch über das Drehbuchschreiben eine ganze Generation von (Film)Autoren geprägt hat. Field besteht darauf, dass in einem funktionierenden Drehbuch Inhalt und Form eng aneinandergeknüpft sind, und geht
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