Das Zauberer Handbuch
worin diese List bestehen soll. Ebenso verhält es sich mit den Handlungen der Figuren – sind sie hinreichend motiviert? Oder muss hier und dort noch nachgebessert werden, weil ihre Handlungsweise sonst nicht mehr logisch und damit für den Leser nicht nachvollziehbar ist?
Der Grund, warum wir dies so sorgfältig tun müssen, ist der, dass man geplotteten Geschichten ihre »simulierte« Herkunft bisweilen anmerkt – nämlich immer dann, wenn sie der eigentlichen Handlungslogik und dem, was die Figuren natürlicherweise tun würden, zuwiderlaufen. In solchen Fällen muss der Autor dann manchmal etwas bemühen, das man deus ex machina nennt. Der Ausdruck stammt aus der Frühzeit des Theaters, wo man Konflikte oftmals löste, indem man eine Gottheit (lateinisch deus ) auftreten ließ, die nicht selten an Seilen auf die Bühne herabgelassen wurde, also gewissermaßen ex machina auftrat. Demzufolge findet der Ausdruck immer dann Anwendung, wenn deutlich erkennbar von außerhalb des Spiel- oder Romangeschehens eingegriffen wird, um diesem die beabsichtigte Richtung zu geben.
Ich gebe zu, dass geplottete Romane dieser Gefahr in stärkerem Umfang ausgesetzt sind, jedoch nicht, wenn man bei der Festlegung der Figuren und ihrer Motivationen genügend Sorgfalt walten lässt und dafür sorgt, dass alle enthaltenen Wendungen durch das Handlungsgeschehen motiviert werden. Die Kollegen vom Film bezeichnen dies als Character driven Plot , also als eine Geschichte, die von den Handlungen und Motivationen der Figuren vorangetrieben wird, und so sollte es sein. Denn obwohl wir in der Phantastik sicher größere kreative Freiheit genießen als etwa Autoren im Thriller- oder Krimi-Genre, sollte dies nicht so verstanden werden, dass die allgemeinen Regeln der Handlungslogik und Wahrscheinlichkeit nicht gelten. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall: Gerade weil wir uns in phantastischen Welten bewegen und von unwahrscheinlichen Kreaturen erzählen, ist es umso wichtiger, dass jene Regeln, die der Leser aus seiner Wirklichkeit kennt, auch dort Bestand haben, weil sie der Orientierung dienen und die Identifikation mit dem Stoff erleichtern. Es sei denn natürlich, wir haben es vorher ausdrücklich anders definiert.
Wenn im Lande Lilliput alle Menschen winzig klein sind und im Lande Brobdingnag alle riesig groß, dann geht das in Ordnung, weil Autor Jonathan Swift das so festgelegt hat; und wenn in Hogwarts Besen fliegen, Bilder sprechen und Süßigkeiten schon mal nach Erbrochenem schmecken, dann stellt das auch kein Problem dar, denn es wurde von Beginn an als Teil von J.K. Rowlings Universum definiert. Wichtig ist, dass solche die normale Realität überschreitenden Dinge früh in die Handlung eingebracht und auf diese Weise legitimiert werden – und haben wir sie erst einmal festgelegt, dürfen wir sie nicht mehr über den Haufen werfen, sondern müssen der dadurch entstandenen Logik folgen.
Ein Plot, der sich auf diese Weise entwickelt, wird sich schließlich als eine noch relativ lose Aneinanderreihung von Namen und Ereignissen präsentieren, die das grobe Handlungsgerüst des Romans wiedergeben. Später, beim Ausarbeiten, wird durchaus noch Platz für spontane Einfälle sein, etwa wenn es darum geht, die Charaktere mit »Fleisch und Blut« auszustatten und sie miteinander interagieren zu lassen. Zunächst jedoch ist es wichtig, unseren grob gesponnenen Handlungsfäden eine inhaltliche Struktur zu geben.
Die Macht des Mythos
Hält das Plotten von Romanen in der frühen Entstehung auch einige Stolperfallen bereit – die Stärke dieser Arbeitstechnik liegt ganz eindeutig in der Dramaturgie, die hier sehr viel sorgfältiger geplant und ausgefeilter sein kann als bei der spontanen Handlungsentwicklung. Und die Dramaturgie wiederum nimmt unmittelbaren Einfluss auf all die Empfindungen, die wir beim Leser auslösen wollen: Spannung, Mitgefühl, Freude usw.
Dass ein Roman spannend und interessant zu lesen ist, sollte an sich selbstverständlich sein, dennoch gibt es viele Beispiele für Bücher, die ambitioniert beginnen, sprachlich herausragend sind – und den Leser dennoch nicht zu fesseln vermögen. Wenn das so ist, dann häufig deshalb, weil es der Autor versäumt hat, die Regeln der Dramaturgie zu beachten – oder sie ganz absichtlich missachtet, um »mal etwas anderes« zu machen. Nach meiner Erfahrung ist es aber so, dass der Leser in dieser Hinsicht keine Experimente wünscht: Ein Roman, für den man
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