Das Zauberer Handbuch
bisweilen gar so weit, dies auf den Film bezogen in exakter Minutendauer anzugeben. Nun geht es in diesem Handbuch natürlich nicht in erster Linie um das Drehbuchschreiben, aber angesichts der Tatsache, dass die verschiedenen Medien zusehends miteinander verschmelzen und wir als Autoren in unserem eigenen Interesse angehalten sind, unsere Leser auf eine ihnen vertraute, »visuelle« Art und Weise zu unterhalten, kann es nicht schaden, an dieser Stelle einen Blick über den Zaun zu werfen.
Da Film und Theater dem Ursprung nach verwandt sind – in den Anfangstagen der bewegten Bilder filmte man einfach Bühnengeschehen ab, ehe man die filmischen Ausdrucksmöglichkeiten differenzierter einzusetzen lernte –, stammen auch die dramaturgischen Prinzipien ursprünglich aus dem Theater. Bis heute werden Filme z.B. üblicherweise in drei Akte gegliedert, die im Wesentlichen dem Schema Einleitung – Hauptteil – Schluss folgen. Dies ist wiederum eine Vereinfachung des Schemas, an das sich der eine oder andere vielleicht noch aus seiner Schulzeit erinnert, nämlich die klassische Fünfteilung des Dramas, die in ihren Grundzügen auf Aristoteles zurückgeht:
1. Exposition (Einführung)
2. Epitase (Handlungssteigerung)
3. Peripetie (Höhepunkt)
4. Retardation (Verlangsamung der Handlung)
5. Katastrophe oder Lysis (Lösung)
Diesen formalen Aufbau verbindet Aristoteles noch mit einer ganzen weiteren Reihe von Regeln, so z.B. der Einheit von Ort, Zeit und Handlung, die bis ins vorletzte Jahrhundert hinein Gültigkeit hatten. Mit geradezu peinlicher Genauigkeit wurden die aristotelischen Regeln im französischen Theater befolgt, wo man der Überzeugung war, dass die Wirkung eines Theaterstückes letztlich nicht vom Inhalt, sondern vor allem von der vollendeten Form abhänge – den Zeitgenossen ging es beim Theaterbesuch nicht in erster Linie um Unterhaltung, sondern um ein erbauliches Erlebnis, das beim Zuschauer eine Katharsis, eine seelische wie geistige Reinigung bewirken sollte (bis zur Begründung der Psychoanalyse sollte noch rund ein Jahrhundert vergehen).
Allerdings rief diese strenge Formalität bald auch Gegner auf den Plan – schon Lessing wetterte dagegen an, ebenso wie später der deutsche Sturm und Drang, namentlich vertreten durch Schiller und Goethe, die die Vorhersehbarkeit der Franzosen kritisierten und den Engländer Shakespeare als den idealen Dramendichter verehrten – nur um einige Jahrzehnte später im Rahmen der deutschen Klassik wieder zur strikten Einhaltung der aristotelischen Regeln zurückzufinden. In seinem Stück IPHIGENIE AUF TAURIS, heute als Inbegriff und Höhepunkt der deutschen Klassik gefeiert, zementierte Goethe genau jene Regeln, die er zuvor noch als kraftlos und überkommen angeprangert hatte – und schuf damit ein zeitloses Beispiel an Sprachgewalt, Formvollendung und, sagen wir es ruhig, Langeweile.
Noch einmal: Den Ikonen der deutschen Klassik ging es nicht darum, ihr Publikum auf jene Weise zu unterhalten, die wir heute darunter verstehen, von daher ist es unfair, bei der Beurteilung ihrer Werke diese Maßstäbe anzusetzen. Doch dieser kleine Ausflug in die Vergangenheit zeigt sehr schön, dass der alte Streit zwischen Form und Funktion, der in vielen Kunstrichtungen anzutreffen ist, auch in der Schriftstellerei eine große Rolle spielt. Und dass er oft von Lippenbekenntnissen geprägt ist, denn Form und Funktion (in unserem Fall Inhalt) haben beide ihre notwendige Berechtigung. Es kommt lediglich darauf an, sie in eine vernünftige Beziehung zu setzen.
Wäre STAR WARS ein solcher Erfolg geworden, hätte sich George Lucas’ Experimentierfreude nicht auf die Tricktechnik, sondern auf die Erzählweise bezogen? Sicher nicht. Die Abenteuer von Luky Skywalker erfreuten sich nicht zuletzt deshalb solcher Beliebtheit, weil Lucas auf klassische Erzählmuster und auf die einfache Dramaturgie der amerikanischen Serials und B-Pictures zurückgegriffen hatte.
Wäre DER HERR DER RINGE zum Urknall eines ganzen Genres geworden, wenn sich Tolkien einer weniger schwülstigen, romantisierenden Sprache und Erzählform bedient hätte? Ganz sicher auch nicht. Erfolg kann sich nur dort einstellen, wo Form und Inhalt eine perfekte Verbindung eingehen.
Dramatischer Aufbau
Welches aber sind nun die dramaturgischen Merkmale eines fesselnden Romans? Wie sollte eine Geschichte aufgebaut sein, damit sie den Leser überzeugt und ihn in ihren Bann zieht?
Es fängt damit an, dass die
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