Das Zaubergift
letzten Schritte zur Kaschemme gehe. Blut rinnt aus ihrer Brust über meine Arme. Es ist noch früh am Abend, und in der Kaschemme ist es ruhig. Ich trete an den Tresen, an dem Gurdh seine Humpen poliert. Er sieht mich an, und ihm fällt beinah die Kinnlade herunter. Ich selbst stehe einfach dumm da und weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll. Ich bringe kein Wort heraus.
Tanrose taucht auf.
»Makri ist tot«, sage ich schließlich.
Tanrose packt mich am Arm und führt mich nach hinten. Dort lege ich den Leichnam auf einen Tisch.
Gurdh ist genauso schockiert wie ich und kann auch nichts sagen. Tanrose will wissen, was passiert ist.
»Sarin hat sie erschossen«, erwidere ich.
Jetzt werde ich Sarin töten. Aber ich kann es nicht ertragen, Makris Leichnam zurückzulassen.
Tanrose beugt sich über sie. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Als der erste Schock endlich nachlässt, werden auch meine Augen ganz nass. Ich fühle mich elend. Gurdh stöhnt und sinkt verzweifelt auf einen Stuhl.
Ich sehe den Leichnam an.
»Sie darf einfach nicht tot sein!«, erkläre ich.
Plötzlich keucht Makri, und Blut läuft ihr aus dem Mund. Sie stöhnt schwach, und dann wird ihr Körper wieder ganz schlaff.
»Sie lebt noch!«, schreit Tanrose.
Ich verschwende keine Zeit mit Worten. Als Makri zum zweiten Mal hustet, bin ich schon unterwegs, um Chiruixa, die Heilerin, zu holen. Chiruixa wohnt ganz in der Nähe der Kaschemme. Sie ist eine sehr geschickte Frau und kümmert sich um die Wehwehchen und Kümmernisse der Armen von Zwölf Seen, ohne viel mehr dafür zu bekommen als einen Haufen Dankbarkeit. Ich renne, wie ich nicht mehr gelaufen bin, seit ich ein junger Soldat in der Armee war. Am Eingang zu Chiruixas Haus wartet schon eine lange Schlange Kranker, die zu ihr wollen. Ich dränge mich einfach an ihnen vorbei und stürme in die Wohnung. In einer Art Wartezimmer vergibt eine junge Frau Termine. Sie blickt hoch und will etwas sagen, aber ich bin an ihr vorbei und stehe im Behandlungszimmer, bevor sie auch nur ein Wort über die Lippen bringt.
Chiruixa beugt sich gerade über einen Patienten.
»Makri hat einen Armbrustbolzen in der Brust. Sie wird gleich sterben.«
Ich erwarte Widerstand und habe mich darauf vorbereitet, Chiruixa einfach hochzuheben, mir über die Schulter zu werfen und sie in die Rächende Axt zu schleppen. Doch stattdessen nickt sie, murmelt ihrem Patienten zu, dass er morgen wiederkommen soll, und schnappt sich ihren Heilerbeutel, bevor sie mit mir auf die Straße eilt. Wir laufen zur Rächenden Axt zurück, und ich treibe sie förmlich in das Hinterzimmer.
Makri gibt kein Lebenszeichen mehr von sich. Ihre Haut hat schon einen merkwürdigen Farbton angenommen.
Als Chiruixa den Armbrustbolzen sieht, der sich tief in Makris Brust gebohrt hat, sieht sie mich fragend an.
»Sie lebt noch«, erkläre ich. »Tut, was Ihr könnt. Ich hole Astral Trippelmond.«
Ich nehme den Hinterausgang, sattle in Windeseile Gurdhs altes Ross, springe darauf, ramme dem Gaul meine Hacken in die Flanken und galoppiere rücksichtslos den Quintessenzweg entlang, ohne auf die Fußgänger zu achten, die mir Unflätigkeiten zurufen, bevor ich sie niederreite. Ich schaffe es von Zwölf Seen nach Pashish in einer neuen Rekordzeit und verschwende keine Worte an Astrals Diener, als ich ihn aus dem Weg dränge und in die Gemächer seines Herrn stürme.
Weniger als eine Minute später sind wir wieder unterwegs, zurück zur Rächenden Axt. Astral ist zwar nicht auf Heilung spezialisiert, aber er hat viel Wissen und Macht. Ich bete, dass er helfen kann.
Das Pferd wiehert protestierend, als ich es gnadenlos vorantreibe. Als es mich und den Zauberer vor der Kaschemme absetzt, trabt es praktisch auf dem Zahnfleisch. Ich führe Astral rasch in das Hinterzimmer, wo Makri immer noch regungslos daliegt. Chiruixa beugt sich über sie. Es ist ihr gelungen, die Blutung zu stoppen.
»Lebt sie noch?«, will ich wissen.
»So grade eben.«
»Das ist eigentlich ein Wunder«, bemerkt Astral leise, als er die Wunde mustert, und Chiruixa pflichtet ihm bei. Astral zieht einen kleinen, durchsichtigen Kristall aus seiner Tasche. Es ist ein Lebensstein. Die meisten Zauberer haben einen bei sich. Wenn man ihn an die Haut einer Person hält, dann strahlt er grünlich. Es sei denn, diese Person ist tot. Dann strahlt er gar nicht. Astral drückt ihn auf Makris Stirn. Wir versuchen verzweifelt, eine Verfärbung des Kristalls zu entdecken. Zuerst passiert
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