Das Zauberschloß
Auskunft giebt, auf welche Art der unwissenden Unschuld jener Witz der Natur, die Sache, die zugleich heilig und gemein ist, auf die richtigste Weise beigebracht werden kann. Ich weiß wohl, daß manche Eltern und Lehrer roh und fast frech dabei zu Werke gehn und die Phantasie auf lange vergiften; schlimmer mag es freilich seyn, dem Zufall den Unterricht zu überlassen, dessen Bosheit sich dann wohl niedriger Menschen und Domestiken bedienen kann, die gemeine Lüsternheit zu wecken. Unter unserer Obhut und den Augen meiner züchtigen Gattin war das Mädchen nun groß geworden und über seine Jahre verständig. Ein anatomisches Buch unter den lateinischen Werken hatte sich zu ihr verirrt und ihre Wißbegier hatte sich des Inhalts bemeistert; denn daß ich die lüsternen und anstößigen Dichter ihr verbarg, werden Sie mir ohne meine Versicherung glauben. Meine Gemahlin war schon gestorben, als Florentine damals von jener tödtlichen Melancholie befallen wurde. Als sie nach vielem vergeblichen Zureden endlich den Muth faßte, sich mir etwas zu vertrauen, und mehr ihre Beschämung als ihr Wort sprach, sah ich nun wohl ein, daß sich ihr auf lange das Leben verfinstert hatte und die erste und feinste Blüthe des Daseins verduftet war. Der Zauber der Kindheit war dahin und ich hoffte, daß die Liebe und ihre Sehnsucht, der Rausch des Herzens eine neue frischere Blume hervortreiben würden, daß sie den Pfad finden solle, auf welchem die jungen Gemüther von selbst, im poetischen Leichtsinn und in süßer Trunkenheit, der Bestimmung des Lebens entgegen gehn und ganz der Forderung der Natur gemäß, erst tändeln, dann lieben, im Brautstande selig und als Mütter glücklich sind. Ich erfuhr aber zu meinem Schmerz, daß keine Erziehung, keine Ermahnung, keine noch so verständige und consequente Richtung etwas vermögen, wenn eine wahre Selbstständigkeit, ein Charakter, ein eigenthümliches Wesen sich aus seinem Innern nach nothwendigen Gesetzen entwickelt. Es wurde immer deutlicher, daß das junge kräftige Wesen nicht mit jenem poetischen Leichtsinn begabt war, der vielleicht nothwendig ist, um uns in unserer sonderbaren Existenz mit Leichtigkeit zurecht zu finden, daß sie sich durchaus nicht mit den Bedingungen des menschlichen Daseins versöhnen konnte, daß diese physischen Bedingnisse, die Abhängigkeit vom Irdischen sie immerdar beschämten und diese Scham in einen Groll gegen das Leben selbst verwandelten. So ist ihre Beschäftigung, ihr Studium gleichsam eine fortwährende Zerstreuung, um sich vor sich selbst zu verbergen. Ihr Zustand ist nichts andres, als eine wahre Gemüthskrankheit; wie wir denn so Alles nennen müssen, was sich nicht in jene bewußte und unbewußte Resignation fügen will, in der wir mit Tändeln, Passivität, Beschäftigung, Leiden und Freuden die seltsame Basis unseres Lebens vergessen, wo Lust und Scherz mit der Verwesung liebäugelt. Sind doch, wenn man sich dieser Stimmung hingiebt, auch Philosophie und Religion nur Zerstreuung; die wahre einzige Beruhigung giebt es nur im Tode.
Der Lord sah den Freund mit einem langen prüfenden Blicke an. Wenn es so ist, sagte er endlich, so hat sie vieles von diesem Krankheitsstoff vom Vater geerbt. Zum Glück, daß alle unsere Gefühle stärker sind, als diese finstern Stimmungen, und je natürlicher man fühlt, um so stärker. Oder auch wohl zu unserem Unglück. Denn es ist ja gewiß, daß, wenn ich diese Unruhe der Sehnsucht, diese Ahndungen, die aus dem Himmel selbst zu stammen wähnen, dieses Feuer, in welchem alles Leben mit seinen Kräften auflodert, nicht in ihren Armen mildern und verklären kann, ich der unglückseligste der Menschen bin. Das ist ja eben die Liebe, daß das einzige Wesen ganz aufgeht in meinem Herzen, daß ich ganz in ihm bin und mich fühle, und daß ich dennoch, um nicht zu vergehn, dieses Bewußtsein des Einzigen, Nahen durch die innigste Verbindung wieder in ein Fremderes mildern und sänftigen muß. In den Kindern wächst und blüht dann das Jugendgeheimniß wieder reizend und schön um uns her, und die Liebe des Gatten und Vaters erhebt unser sehnsüchtiges Herz alsdann zu einer andern Region, wo es sich wieder verklärt und erheitert.
Wir bemühen uns, erwiederte der Vater, das auszusprechen, was man immer nur andeuten kann. Wie wir fast Nichts im Leben vorher berechnen können, so ändert ein glücklicher Zufall, ohne unser Zuthun, vielleicht Alles.
Freilich sollen wir uns über Alles trösten und beruhigen,
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