Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
Vom Netzwerk:
herauszuziehen, räusperte sich, als wollte sie sprechen, und sagte dann aber doch nichts. Schließlich stieß sie mich an und meinte: »Sieh nur, die Schwalben sind aus Afrika zurück.« Über unseren Köpfen flogen die Schwalben hin und her, sie hatten Strohhalme im Schnabel und zwischen dem Gezwitscher älterer Vögel konnte man das fröhliche Piep-Piep der gerade geschlüpften Vogelkinder hören. Über die nächsten Tage blieb das Wetter schön und wir sahen den Vogeleltern zu, wie sie unermüdlich mit Insekten im Schnabel hin und her flogen und ihre Jungen fütterten. Josefa beobachtete sie mehr, als dass sie nähte.
    »Sieh mal«, sagte sie eines Tages plötzlich. »Ein neues Vogelmännchen fliegt um das Nest über deinem Kopf hin und her.« Das neue Vogelmännchen flog zum Nest und kam mit einem der Babys im Schnabel wieder zum Vorschein. Es entfernte sich ein Stück und dann sahen wir, wie ein winziger Punkt aus seinem Schnabel zur Erde fiel. Zu meinem Entsetzen holte er die Babys eines nach dem anderen, um sie ein Stück vom Nest entfernt fallen zu lassen.
    »Das Männchen will die Mutter zur Frau haben und um sie zu locken, tötet es die Babys ihres ersten Mannes«, flüsterte Josefa und blickte dabei vorsichtig über die Schulter. Wenige Tage später kam ein Bote auf einem schweißüberströmten Pferd. In dem Franziskanerkloster, in dem meine Brüder zur Schule gingen, hatte es einen Unfall gegeben. In ihrer Pause hatten sie auf dem Rand eines Brunnens im Kreuzgang gesessen. Als die Glocke sie wieder zum Unterricht rief, kamen meine Brüder nicht. Voller Ärger über ihren Ungehorsam ging ein Mönch los, um sie zu holen, doch er konnte sie nirgendwo finden. Das ganze Kloster suchte überall nach ihnen und schließlich machte ein Laienbruder, der Wasser aus dem Brunnen holen wollte, eine schreckliche Entdeckung. Alle drei lagen auf dem Boden des Brunnens, ertrunken. Falls sie um Hilfe gerufen hatten, so hatte sie niemand gehört. Es musste sehr schnell passiert sein, wahrscheinlich war einer von ihnen versehentlich hineingefallen und die anderen versuchten, ihn zu retten und ertranken ebenfalls.
    Meine Mutter verlor das Bewusstsein.
    Eine Woche später, als die Sommerhitze aus der Ebene emporstieg, starb auch Consuela.
    Meine Mutter riss sich die Haare aus und weinte. Dann erhielt sie einen schrecklichen Brief von meinem Vater. Er verstieß sie ganz und gar. Immer öfter kniete meine Mutter vor ihrem privaten Altar und betete. Josefa ließ mich Tag und Nacht nicht aus den Augen und ließ mich nichts essen, was sie nicht eigenhändig zubereitet hatte. Die Dienerin mit den schrägstehenden Augen fiel die Steinstufen zur Küche hinunter, brach sich ein Bein und schlug so schlimm mit dem Kopf auf, dass sie nicht mehr richtig gehen und bei Tisch servieren konnte. Sie hockte in ihrer Küchenecke und murmelte, man habe sie die Treppe hinuntergestoßen, doch die anderen Diener mochten sie ebensowenig wie Josefa und hörten nicht auf sie.
    Monate voller Unbehagen vergingen und meine Mutter wurde dicker um die Mitte. Ein weiterer Bote kam. Mein Vater war auf See verschollen. Eine Riesenwelle, so sagte man, die ihn trotz all seiner Erfahrung eines Nachts überrascht habe, als er auf Deck war. Am Hofe würden Messen für seine Seele gelesen. Die Königin, die schon immer gütig gewesen war, schickte die Nachricht, dass meine Mutter sich für ihre Niederkunft an den Hof begeben solle. Josefa sagte, wir könnten uns nicht weigern, sondern müssten den Schutz annehmen, den man uns anbot. Wir brachen zu einer langen und beschwerlichen Reise über die hitzeflirrende Ebene Richtung Madrid auf. Als wir ankamen, herrschte am Hofe Trauer. Der Kronprinz war tot. Gerüchte machten die Runde.
    Man wies uns Gemächer im Palast zu, doch als der Herbst kam, waren sie trotz der Feuer und Kohlenbecken zugig und kalt. Meine Mutter schleppte sich schwer von einem Raum zum anderen, dann wurde sie bettlägerig. Wenn sie mich anblickte, sah ich die dunklen Schatten unter ihren Augen, und wenn sie die Hand von der Bettdecke hob, um meine Wange zu streicheln, waren ihre Finger geschwollen. Ich durfte still neben ihr im Bett sitzen und mit den Ringen spielen, die sie nicht mehr tragen konnte und die auf einer Truhe neben ihrem Bett lagen. Als die Nächte immer länger wurden, wurde ihr Schlafgemach von zwei dicken Kerzen erleuchtet, die sich rechts und links von ihrem Bett befanden und ein Kruzifix aus Ebenholz anstrahlten, das über dem

Weitere Kostenlose Bücher