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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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Kopfende hing. Die Zugluft ließ die Kerzenflammen flackern und die langen Schatten auf dem Kruzifix zuckten hin und her, so als würde sich Christus vor Schmerz winden. Die Ringe meiner Mutter glitzerten im Kerzenlicht wie Drachenaugen – rot und grün. Ansonsten lag das Zimmer in tiefem Schatten. Ich hatte das Gefühl, dass dort etwas mit angehaltenem Atem wartete.
    Jeden Abend, wenn Josefa meiner Mutter ihr Abendessen brachte, stellte meine Mutter dieselbe Frage: »Gibt es schon eine Antwort?« Josefa bestand darauf, dass meine Mutter erst etwas essen müsse und schließlich gehorchte sie aus lauter Erschöpfung, nahm ein paar Löffel Suppe zu sich, dann ein paar Schlucke aus einem Kelch aus venezianischem Glas, in dem süßer, nach Mandeln riechender Wein war. Josefa tupfte ihr sanft die Lippen mit einer leinenen Serviette ab und gab dann die immer gleiche Antwort: »Vielleicht morgen.«
    »Schicke ihm noch einmal eine Nachricht, Josefa! Man sagt, er allein weiß, wie man es anstellt, wie man die Kinder schickt. Er ist meine letzte Hoffnung.«
    Josefa wies mich an zu beten, auf dass es meiner Mutter besser ginge. Ich nahm meine Perlen und schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, und betete so inbrünstig ich konnte. Meine Gebete hatten Consuela nichts genutzt. Doch wenigstens kam Josefa eines Abends mit glücklicherer Miene ins Zimmer, beugte sich über meine Mutter und flüsterte ihr etwas zu. Ich schlich ein wenig näher und hörte die Worte: »Er hat die Angelegenheit in Gang gesetzt, schickt nach …« Den Rest konnte ich nicht hören.
    In einer finsteren Nacht zum Ende des Monats regnete und stürmte es heftig. Der Kopf mit der Dornenkrone über dem Bett meiner Mutter sah aus, als würde er hin- und hergeworfen, während sich der geschundene Körper in Todesqualen wand. Ich schreckte zusammen, als ich einen seltsamen Schrei aus dem Bett meiner Mutter hörte, wie der des bunten Vogels, den mein Vater von seinen Reisen mitgebracht hatte. Die Diener hassten diesen Vogel, sie sagten, er kreische mit den Stimmen der Verdammten. Sie ließen ihn zurück, als wir nach Madrid aufbrachen.
    Der Weinkelch in Josefas Hand fiel zu Boden und zerschellte. Eine Dienerin wurde in aller Eile nach der Hebamme geschickt, dann nach den Ärzten und einem Apotheker, die kamen und sich hastig ihrer nassen Umhänge entledigten. Wieder und wieder machte meine Mutter dieses Geräusch und ich hielt mir die Ohren zu. Ein Priester kam im Laufschritt vorbei, begleitet von einem schläfrigen Jungen, der die Heiligen Sakramente trug. Ein Page zupfte Josefa am Ärmel und sagte, da warte jemand.
    Sie wandte sich vom Bett ab, zog mich hoch und zerrte mich zur Tür. Ich bettelte, sie möge mich bei meiner Mutter lassen, doch sie schüttelte mich heftig und flüsterte mir eindringlich zu, ich müsse ein mutiges Mädchen sein; die Gebete meiner Mutter für meine Sicherheit seien erhört worden. Eine großgewachsene Nonne stand da, reglos und schweigend wie eine Statue. Über ihrem Arm hing ein Umhang, den sie nun ausbreitete. »Ich bin Sor Arsinoe«, flüsterte sie. »Sei ganz still und leg dies hier um.«
    Ich drehte mich weg, doch Josefa griff sich den Umhang und wickelte mich so fest darin ein, dass ich mich nicht rühren konnte. »Geh mit Sor Arsinoe!«, befahl sie, während ich mich wehrte und um mich trat. »Wenn du deine Mutter liebst, geh sofort! Geh!« Ich wurde durch den dunklen Korridor zu einer Hintertreppe geführt, die zu den Küchen und Vorratsräumen führte, dann durch eine kleine Tür, zu der die Händler ihre Waren brachten. Eine Kutsche mit Vorhängen wartete im Regen. Die Nonne schob mich hinein und hier bin ich nun. Josefa und meine Mutter haben sich gegen mich verschworen und haben mich hierher geschickt. Ich werde ihnen nie verzeihen.

KAPITEL 18
    Aus der Chronik der Sors Santas de Jes ú s, Kloster Las Golondrinas, Andalusien, Herbst 1551
    Marisol war den größten Teil des vergangenen Jahres mür risch und schweigsam – es ist ihr Versuch, sich nicht von der Traurigkeit überwältigen zu lassen. Und ein fünftes Mädchen, Sanchia, hat sich zu den anderen gesellt. Sie ist neun Jahre alt und kam, als die Schwalben davongezogen waren und Rauch aus dem Tal aufstieg, wo nach der Ernte die Felder abgebrannt wurden. Wie schrecklich passend! Als sie bewusstlos aus der geschlossenen Kutsche gehoben wurde, dachten wir erst, sie sei krank und liege möglicherweise im Sterben. Doch Sor Sofía, die sie herbrachte, sagte,

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