Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
schnarchenden Gouvernante im Schulzimmer war, küsste Alejandro ihren Nacken, während Isabela sich über ein Buch beugte. Sie schauderte, ihre Lippen öffneten sich und sie blickte auf. Bevor die beiden jungen Leute wussten, wie ihnen geschah, trafen sich ihre Lippen. Isabela löste sich zuerst. Sie hätten gesündigt, flüsterte sie. Alejandro flüsterte, dass es ihm egal sei, und küsste sie erneut, mit so viel Leidenschaft, dass Isabela sich mitreißen ließ und nicht protestierte. Die Gouvernante rührte sich und sie sprangen auseinander.
»Kommst du heute Nacht zu mir?«, bat Alejandro flüsternd.
Isabela hatte keine Zeit, etwas anderes zu tun als »Ja!« zu flüstern.
Isabelas Gouvernante schlief tief und fest in einem Alkoven in Isabelas Zimmer, doch für den Fall, dass sie aufwachen sollte, stopfte Isabela ihre Kissen so unter die Decke, dass sie wie eine schlafende Gestalt aussahen. Sie streifte ein besticktes Nachthemd über, parfümierte sich mit Rosenessenz aus einem kleinen Glasfläschchen und dann schlüpfte sie lautlos durch ein Vorzimmer die Treppe hinunter zum Dienstboteneingang, der zum Innenhof führte, wo Alejandro sie in seine Arme schloss, als gehörte sie genau dort hin.
Sie liebten sich leidenschaftlich. Nacht für Nacht trafen sie sich hinter den großen Pflanzentrögen in den Ecken des Innenhofs oder in Alejandros Zelle, wo sie sich auf seinem schmalen Bett aneinanderschmiegten. Isabelas goldenes Haar fiel in Wellen über ihre nackten Schultern, während Alejandro zwischen zwei Küssen Dantes Sonette rezitierte. Doch Dantes Liebe zu Beatrice war nichts im Vergleich zu ihrer.
»Dante und Beatrice hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt, dann hat sie einen anderen geheiratet und ist gestorben, und Dante konnte nur noch ihren Schatten betrauern. Wozu soll eine solche Liebe gut sein?«, murmelte Isabela. Sie lehnte den Kopf an Alejandros Schulter, genoss ihre Wärme und Kraft und verspürte Mitleid für Beatrice.
Alejandro küsste ihr Haar. »Sie hat ein großartiges literarisches Werk hervorgebracht.« Er seufzte. »Aber ich will keine große Literatur schreiben. Ich wünsche mir nur, nie von dir getrennt zu werden.«
Für diese Augenblicke gefährlichen Glücks, in denen es außer ihnen beiden nichts anderes gab, riskierten sie alles. Sie fürchteten den Moment, in dem Alejandro ins Seminar zurückkehren und sein Gelübde ablegen musste und Isabelas Schicksal auf die eine oder andere Weise besiegelt wurde. Isabela wusste, dass ihr Vater mehrere Heiratsangebote prüfte, doch vermutlich würde der Priester seine Ränkespiele, mit denen er sie ins Kloster befördern wollte, nicht so leicht aufgeben. Egal, wie dieser Machtkampf zwischen ihrem Vater und dem Priester ausging: Eine Zukunft ohne die Wärme von Alejandros Liebe erschien ihr trostlos und kalt wie der Tod selbst.
Dann kam eine Zeit, in der Isabela morgens übel war, und eines Tages fiel sie in ihrem Schlafzimmer ohnmächtig zu Boden, als sie sich für die Messe anzog. Als sie zu sich kam, fühlte sie sich schwach und elend und übergab sich in ihr Taschentuch. Sie schickte ihre Zofe nach einem Teller mit dünnen Zitronenscheiben, nach denen sie plötzlich ein unstillbares Verlangen hatte. Die Zofe brachte ihr den Teller und merkte listig an, dass sie in Isabelas Wäsche seit einiger Zeit keine Spur ihres Monatsblutes gefunden habe; vielleicht würde es bald nötig sein, Isabelas Kleider weiter zu machen. Als Isabela sie überrascht ansah, schüttelte die Zofe den Kopf und murmelte, wie interessant diese Entdeckung für Isabelas künftigen Ehemann sein würde. Isabela dachte an die heftige Übelkeit, die die Schwangerschaften ihrer Mutter begleitete – und an ihre Vorliebe für Zitronen in dieser Zeit. Ein schrecklicher Gedanke keimte in ihr auf.
Die Zofe plapperte weiter. Das sei typisch für die muslimischen conversos . Sie hätten nichts anderes im Sinn als unter die Röcke christlicher Mädchen zu kommen. »Fr. Alejandro … für einen Priester ist er wirklich gut aussehend … und Ihr lernt so eifrig …« Sie lachte gekünstelt. Dann erwähnte sie, dass ihr Onkel ein Familiar der Inquisition sei. Sie, die Zofe, wolle auch ein Familiar werden und ihr Onkel habe ihr versprochen, dass er ein gutes Wort für sie einlegen wolle, wenn sie Augen und Ohren offenhielt und ihm Bericht erstattete. Erst in der vergangenen Woche, fügte sie mit verträumter Miene hinzu, habe sie ihrem Onkel gesagt, dass die Köchin eine heimliche
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