Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
wahre Höllenqualen.
Alejandros Unterkunft befand sich im Lehrerquartier neben der Familienkapelle, doch dort verbrachte er immer weniger Zeit. Immer wieder überquerte er den Innenhof auf dem Weg zur Bibliothek des Grafen, wo er seine Unterrichtsstunden vorbereitete. Der Innenhof war der Ort, an dem Isabela sich nachmittags am liebsten mit ihrer Nadelarbeit hinsetzte. Während die Gouvernante über ihren Rosenkranzperlen murmelte, tauschten sie einfache, alltägliche Nettigkeiten aus. Alejandro sah in Isabelas Augen, suchte verzweifelt nach einer interessanten Bemerkung, die er machen könnte, und stammelte: »Das Wetter ist heute sehr schön« oder »Wie laut die Kirchenglocken heute läuten«. Zum Entsetzen des Gärtners brach er zerstreut die schönsten Blüten von den sorgfältig kultivierten Pflanzen im Innenhof, um sie Isabela zu überreichen. »Die Farbe Eures Stickfadens«, sagte er dann, während seine Hand die ihre streifte.
Isabela nickte dann, nahm die Blume und schenkte ihm ein Lächeln. Es war schön, wenn ihr jemand Blumen schenkte. Schließlich fragte Alejandro, ob er ihr vorlesen dürfte, während sie nähte – natürlich aus einem frommen Buch. Seine Wahl fiel auf Die göttliche Komödie . »Darin geht es um die Liebe! Eine Allegorie der heiligen Liebe«, rief er begeistert.
Liebe! Isabela errötete und starrte so angestrengt auf ihre Stickerei, als hätte sie in ihrem Leben noch nie etwas so Interessantes wie blaues Stickgarn gesehen. »Wählt, was Ihr für das Beste haltet«, murmelte sie. »Ich habe es noch nicht gelesen. Mein Italienisch ist nicht gut genug.«
»Ah, genau! Dann zieht Ihr doppelten Nutzen daraus – neben dem lehrreichen Diskurs verbessert Ihr auch Eure italienischen Sprachkenntnisse.« Doch der lehrreiche Diskurs handelte von Liebe und Verehrung. Und das Gespräch über diese interessanten Themen eröffnete ihnen in der Tat die Möglichkeit, ihr Italienisch zu üben, eine Sprache, die die Gouvernante nicht beherrschte. Wenn ihre Ohren jedoch noch so fein gewesen wären wie früher, hätte sie gar kein Italienisch verstehen müssen, um die Leidenschaft herauszuhören, mit der die beiden die höfische Liebe, die nach nichts verlangte als der Verehrung ihres Objektes, und die profane irdische Liebe miteinander verglichen, die nach sehr viel mehr verlangte. Tatsächlich wurde so viel zum Thema Liebe und ihre Ekstase gesagt, während Alejandro dicht neben ihr saß, dass Isabela Schwierigkeiten hatte, ihre Gedanken auf das Erhabene der Liebe zu konzentrieren. Mit Alejandro an ihrer Seite war die Luft hell und süß und der Klang seiner Stimme verursachte in ihr einen Aufruhr der Gefühle, ließ ihr Herz laut pochen und ihre zitternden Finger einen hoffnungslosen Wirrwarr aus ihrer Näharbeit machen.
»La gloriosa donna della mia mente« – »die glorreiche Herrin meiner Gedanken« – wie Dante Beatrice genannt hatte, klang in Isabelas Ohren nach, als sie daran dachte, wie eindringlich er in ihre Augen geblickt hatte, als er diese Worte sagte. Nachts, wenn sie im Bett lag, flüsterte sie sie immer und immer wieder. Gleichzeitig rief sie sich streng ins Gedächtnis, dass Beatrice rein und unerreichbar gewesen war und man die Worte keusch verstehen musste.
Eines Nachmittags dann, mitten in einer sehr erhitzten Diskussion über die Intensität spiritueller Leidenschaft, musste sich die Gouvernante wieder einmal hastig entschuldigen und Alejandro rief: »Ich muss es Euch sagen oder sterben!« Er fiel vor ihr auf die Knie und ergriff ihre Hände: »Ihr seid mein Engel, Ihr seid die Blume, die glorreiche Herrin meines Herzens. Ich lege mein Leben, meine Seele, in Eure Macht und werde die Wahrheit nicht länger vor Euch verbergen. Ich bin kein Christ, der das Zölibat im Herzen trägt, sondern ein Maure mit Blut in seinen Adern. Und ich bin nicht Dante, der auf ewig ohne Beatrice lebt. Ich würde lieber sterben als von Euch getrennt zu werden.«
»Ein Ungläubiger!«, rief Isabela entsetzt. Alejandro sprach tapfer weiter. Die Liebe eines Mauren für eine Christin hatte nichts Unehrenhaftes. Bis zur Reconquista hatte sich die Familie der Abenzucars mit christlichen und jüdischen Nachbarn verheiratet und pflegte eine lange Freundschaft mit einem christlichen Kloster – dem Kloster der Schwalben, Las Golondrinas, das über dem Tal stand, in dem die Besitztümer der Abenzcars lagen. Die Frauen seiner Familie erklommen den Berg, um die Nonnen zu besuchen und ihnen getrocknete
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