Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Student am Seminar von Valladolid, ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren, der sich vor allem in Mathematik und griechischer und lateinischer Philosophie hervortat. Sein Ruf als vielversprechender katholischer Gelehrter war bis zum Grafen vorgedrungen, der immer auf dem Besten für seine Söhne bestand und die Vorgesetzten des jungen Mannes überredete, ihn sein Ordensgelübde verschieben zu lassen, damit er ein oder zwei Jahre lang die Söhne des Grafen unterrichten konnte. Die Leiter des Seminars sahen keinen Nutzen darin mitzuteilen, dass der Clan der Abenzucars eine einflussreiche und wohlhabende maurische Familie gewesen war, die ein großes Lehnsgut in einem andalusischen Tal besaß und nach der Reconquista zum Christentum übergetreten war – jedenfalls die meisten von ihnen. Als Beweis dafür, dass ihre Konversion echt war, hatte sich der jüngste Sohn für ein Leben in der Kirche entschieden.
Die Vorgesetzten des Fr. Alejandro hatten nicht in Betracht gezogen, dass der converso nicht nur ein gut aussehender junger Mann war, sondern zudem ein freundliches Herz hatte. Ebenso wenig ahnten sie, dass er die Vorstellung von einem Leben als Priester grässlich fand und insgeheim gegen die erniedrigende und erzwungene Konversion seiner Familie aufbegehrte. Und außerdem war er unglaublich einsam. Kaum einer der anderen Seminarstudenten machte sich die Mühe, sich mit einem converso anzufreunden, egal, ob er als begnadeter Schüler galt oder nicht.
Und was Isabela anging, so fiel es niemandem auf, dass sie kein Kind mehr war, sondern mittlerweile im heiratsfähigen Alter. Abgesehen von ihrem lahmen Bein ein hübsches Mädchen, das sich nach der Zuneigung verzehrte, die einem Mädchen in einer Familie von Jungen kaum jemals zuteil wurde. Und niemand fragte sich, was einem vierzehnjährigen Mädchen Fr. Alejandros Mathematik und Logik nutzen sollten. Isabelas Anwesenheit im Schulzimmer war schon so lange vollkommen selbstverständlich und wie jedes wohlerzogene Mädchen war sie stets in Begleitung einer Anstandsdame. Ihre Gouvernante, eine strenge ältere Dame, saß während der Unterrichtsstunden neben Isabela und nähte oder betete den Rosenkranz. Nur Isabela wusste, dass die alte Frau mittlerweile taub wie ein Stock war und oft einschlief, während sie kerzengerade auf ihrem Stuhl saß oder auf einem Kissen kniete. Isabela half, ihre Gebrechen zu vertuschen. Sie gab ihr einen leisen Stoß, wenn sie wach und aufmerksam erscheinen sollte, und in den kalten Monaten legte sie ihr vorsichtig einen Schal über die Schultern, wenn sie schlief.
Zunächst befremdete es Alejandro, als er ein Mädchen im Schulzimmer vorfand, doch schon bald versöhnten ihn dieselben Eigenschaften, die auch die anderen Lehrer an ihr zu schätzen gewusst hatten, mit ihrer Anwesenheit. Ihr Verstand war hellwach, sie antwortete mit Bedacht auf die Fragen, die er stellte, sie hörte aufmerksam zu und wusste anzuwenden, was sie lernte. Nach und nach fielen ihm weitere Tugenden auf: wie ordentlich sie war und wie wunderbar leserlich ihre Handschrift, ihr bescheidenes Auftreten und die liebenswürdige Aufmerksamkeit, die sie der alten Dame an ihrer Seite zuteil werden ließ. Und vor allem bemerkte er den Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn er sie ansprach, wie sie vor Freude errötete, wenn er eine ihrer Arbeiten lobte, und wie sie schüchtern den Blick senkte und ihre langen Wimpern dabei ihre Wangen streiften.
Er erkannte, dass ihre Anwesenheit Morgen für Morgen das Schulzimmer erleuchtete. Es war ihm egal, dass sie ein lahmes Bein hatte. Tatsächlich hatte er es kaum bemerkt. Im Seminar hatte er keinen Kontakt zu jungen Frauen und so träumte er ständig von ihnen. Und dann begann er, nur noch von Isabela und ihren wunderschönen Augen zu träumen.
Für ein schüchternes Mädchen, das keine Männer außerhalb ihrer Familie kannte, war Alejandro so strahlend wie Apollo in seinem feurigen Streitwagen, und Isabela brachte es regelmäßig aus der Fassung, wenn er sie ansprach. Bisher hatte sie immer nur kurz in den Spiegel geschaut, um zu prüfen, ob ihr Haar ordentlich gekämmt war, doch nun betrachtete sie ihr Spiegelbild eingehender, um abzuschätzen, wie er sie sehen mochte. Sie begann, sich sorgfältig zu kleiden, überlegte, ob diese oder jene Farbe ihr besser stand, rundete ihre Toilette mit etwas Geschmeide ab und parfümierte ihr Haar. Und dann bereitete ihr der Gedanke, dass er ihre Bemühungen wahrnehmen könnte, in seiner Anwesenheit
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