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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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ihre Mutter weinten und klammerten sich aneinander. Die Mutter flehte die Soldaten an, als die Musik einsetzte. Mönche, die Fackeln in den Händen hatten, zündeten sie an und warteten, bis alle Büßer, darunter auch das Mädchen, dem Esperanza zugewinkt hatte, und die Frau, die ihre Hand hielt, zusammengedrängt und mit einem Seil fest miteinander verschnürt waren. »Jetzt wird’s lustig«, rief das Kindermädchen.
    Ein Trommelwirbel übertönte die Schreie und Gebete und die Mönche neigten ihre brennenden Fackeln an den Scheiterhaufen. Rauchschwaden quollen empor und dann züngelten Flammen um die Füße und Beine der zusammengebundenen Menschen, flackerten höher und höher, bis die Zuschauer die sengende Hitze auch auf ihren Gesichtern spürten. Das Kind, dem Esperanza zugewinkt hatte, war von Flammen eingeschlossen, die Luft war erfüllt von Lauten entsetzlicher Qual, während die Leute auf dem Scheiterhaufen sich wanden und krümmten und dann zu schmelzen und zusammenzusinken schienen. Esperanza sah zu, starr vor Schreck, bis der Wind die Flammen plötzlich anfachte und eine dichte Rauchwolke die Zuschauer einhüllte. Sie war schwer von dem Gestank verbrannten Menschenfleischs und trug ihnen die grauenhaften Schreie der Sterbenden zu. Eine weitere Rauchwolke verdunkelte die Plaza und Esperanza verlor das Bewusstsein. Als sie aufwachte, lag sie in ihrem eigenen Bett. Der Gestank von brennendem Fleisch war in ihren Lungen, ihrem Haar und auf ihrer Haut und sie musste sich mehrmals heftig übergeben.
    Ihr Vater fand Esperanza, die zitternd in ihrem Erbrochenen lag, mit versengten Augenbrauen, fiebrig und hysterisch, während sich das Kindermädchen in der Küche mit ihrem Wachsoldaten amüsierte. Esperanzas Vater, normalerweise ein sanftmütiger Mann, packte das Kindermädchen bei den Haaren und schleuderte sie gegen die Wand wie ein Wahnsinniger, bis sie den Ausflug zur Plaza gestand. Sie habe dem Kind ein fröhliches Spektakel geboten, plapperte sie. Unter schrecklichen Flüchen und Verwünschungen warf er sie aus dem Haus.
    Eine ruhige und bedachtsame ältere Frau nahm ihren Platz ein, wachte über Esperanza, wenn sie schlief, und tröstete sie, wenn die Albträume kamen. Wenn Esperanza die Augen schloss, sah sie immer wieder das Gesicht des Kindes in den Flammen vor sich und Schreie füllten ihren Schlaf. Sie fürchtete sich vor allem, rührte ihr Essen kaum noch an, kaute an ihren Fingernägeln, bis sie bluteten, und wurde mit jedem Tag dünner und nervöser. Ihr verzweifelter Vater beschloss, dass es nur einen Weg gab, die Dämonen aus ihren Gedanken zu vertreiben: Ihre Gedanken sollten mit Studien angefüllt werden.
    Er verpflichtete eine Reihe von Lehrern und stellte einen täglichen Stundenplan auf, der einen Universitätsgelehrten entmutigt hätte: Griechisch, Latein, Französisch, Italienisch, Astronomie, Philosophie und Geschichte. Sie lernte Zeichnen, Malen und Komposition der Lyrik. Sie hatte Unterricht in Religion, Musik, Stickerei und Tanz. Selbst auf ein kleines Kind zugeschnitten war es ein strenges Regiment, doch es hatte die gewünschte Wirkung. Esperanza bekam wieder Appetit und nachts fiel sie in tiefen Schlaf, zu müde zum Träumen.
    Esperanza verbrachte ihre Zeit nicht länger im Kinderzimmer. Stattdessen wurde sie die Gefährtin ihres Vaters. Sie lasen zusammen und studierten die Sterne und beim Essen prüfte er ihr Wissen in Mathematik oder Philosophie. Dann stellte er die farbigen Spielsteine auf das Alquerque -Brett und zeigte ihr, mit welchen Zügen sie einen seiner Steine schlagen konnte. Der alte Freund ihres Vaters, ein Musiker namens Don Jaime, war oft bei ihnen.
    Als Esperanza dreizehn Jahre alt war, weihte ihr Vater sie gegen den Rat von Don Jaime in ein Geheimnis ein – eine verborgene Kammer im Innern des Hauses. Sie war voller Bücher, die die Kirche verboten hatte. Da waren der Qur’an der Moslems und die Kabbalah und der Talmud der Juden, maurische Übersetzungen aus dem Arabischen und Griechischen von Texten über Medizin und Naturgeschichte, das großartige Buch des Persers Ibn Sina über die Medizin, das Buch der Heilung , und al-Mas’udis Geschichte einer Reise in ein fernes Land jenseits des Meeres des Nebels und der Dunkelheit, die er Hunderte von Jahren vor der Reconquista niedergeschrieben hatte. Diese Bücher waren Kunstwerke, sie waren in Leder und Gold gebunden, mit komplizierten Mustern verziert, mit Messing- oder Silberschließen versehen – von

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