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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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Brot und Käse und einer Art kalter Tomatensuppe gegessen hatte, war es später Nachmittag und Sor Clara sagte, sie sei in der Kapelle an der Reihe, daher würden sie für heute Schluss machen. Und morgen würden sie sich die sala grande vornehmen.
    Menina befühlte die Unterwäsche, die sie am Abend zuvor gewaschen hatte. Sie war immer noch nass. Am besten hängte sie sie in die Sonne. Sie nahm die Sachen und machte sich auf den Weg in den Pilgergarten. Dort breitete sie ihre Wäsche auf einem warmen Stein aus und füllte ihre Flasche mit Wasser. Dann ging sie in ihr Zimmer zurück, nahm sich einen Notizblock und streifte durch die engen Gänge, die Sor Teresa als den ältesten Teil des Gebäudes bezeichnet hatte. Die Tür zum Garten stand offen und ließ genügend Licht herein, sodass Menina sich zwei Bilder an der Wand genauer ansehen konnte. Sie sahen aus wie Holzschnitte. Zwischen ihnen hing ein kleines Portrait eines Mönchs mit Tonsur.
    Der Mönch hatte eine krumme Nase und trug eine einfache Kutte mit Kapuze. Er hatte die schmalen Lippen geschürzt und schielte mit seinen kleinen Schweinsäugelchen in die Ferne. Versuchte der Künstler damit zu sagen, dass er kurzsichtig war? Oder den Blick auf etwas Spirituelles, etwas jenseits dieser Welt gerichtet hielt? Sie nahm das Bild von der Wand und ging damit näher ans Tageslicht. Je länger sie es betrachtete, desto stärker spürte sie, dass er etwas sah, das ihm eine selbstgefällige Befriedigung bereitete. Und je länger sie es betrachtete, desto weniger gefiel ihr dieser Mönch. »Fr. Ram ó n Jim é nez« stand über seinem Kopf und darunter konnte sie mit Mühe die Worte » Tribunal del Santo Oficio de la Inquisici ó n « entziffern.
    Sie hängte das Bild an seinen Platz zurück und wandte sich den Holzschnitten zu, die in seiner Blickrichtung hingen. Der erste schien eine fröhliche Szene darzustellen, ein Volksfest oder etwas Ähnliches. Aufgeregte Leute, die mit dem Finger zeigten und ihre Kinder in die Höhe hielten, Soldaten, ein Podium, über dem eine Art Banner drapiert war, Leute in einfachen Kitteln, die Wachskerzen in der Hand hielten.
    Das Gegenstück war weniger fröhlich. Es zeigte die Leute in den einfachen Kitteln, die mit Seilen zusammengebunden waren, auf einem brennenden Holzstapel, und ein Mädchen mit langen Haaren, das auf die Knie gesunken war und die Hände flehend einer Frau auf dem Podium entgegenstreckte. Die Leute wurden bei lebendigem Leib verbrannt und um sie herum fand ein Volksfest statt. Vom Podium aus sah der Mönch von der Inquisition zu.
    Die Holzschnitte mit ihrer seltsamen Mischung aus unschuldiger Freude angesichts eines Spektakels und fürchterlichem Leiden wirkten zutiefst verstörend. Entsetzt wich Menina zurück und floh in den Garten, hinaus an die frische Luft und die langen Strahlen der untergehenden Sonne. Sie sank auf die Marmorbank und vergrub das Gesicht in den Händen. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass bloße Bilder derart schrecklich sein konnten. Sie wusste, was sie darstellten: Die Inquisition verbrannte Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Es waren Bilder aus einer längst vergangenen Zeit. Heute war die Welt anders. Oder? Warum hatte sie das Gefühl, als spielte sich das alles direkt vor ihren Augen ab?
    Menina saß im Sonnenuntergang auf der Bank, dann ging sie hinein, schloss die Tür zum Garten und tastete sich durch den Gang zurück. Dabei blickte sie starr geradeaus, obwohl es jetzt hier drinnen so dunkel war, dass sie die schrecklichen Holzschnitte und den bösartigen Mönch gar nicht erkennen konnte. In ihrem Zimmer hatte jemand die Kerze in der Lampe angezündet und ein mit einem Tuch abgedecktes Tablett auf den Tisch gestellt. Sie aß, zog sich aus, schlüpfte in den Bademantel und versuchte, noch ein paar Seiten in ihrem Reiseführer zu lesen. Sie wünschte, sie hätte einen Liebesroman oder eine Zeitschrift oder irgendetwas anderes aus ihrer sauberen, geordneten amerikanischen Welt mitgebracht. Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf und begann zu träumen.
    Sie stand mitten in einer Menschenmenge, die sich langsam vorwärts schob, um irgendein Ereignis auf der Plaza zu sehen. »Sieh nur«, sagte ein Mann. Es war der dicke Busfahrer. »Siehst du das Spektakel, ja?« Er zeigte nach vorn. Am Ende der Plaza war ein ausladendes Podium aufgebaut, auf dem lauter Priester und Würdenträger standen. Irgendein Fest schien im Gange zu sein. Eine Prozession zog vorbei und sammelte sich

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