Das Zeichen der Vier
verschiedener Tabaksorten‹. Darin werden einhundertundvierzig verschiedene Arten von Zigarren-, Zigaretten-und Pfeifentabak aufgeführt, mit Farbtafeln, welche die unterschiedliche Aschenbildung anschaulich machen. Das ist eine Sache, die in Strafprozessen immer wieder zur Sprache kommt und die oft Hinweise von größter Wichtigkeit zu geben vermag. Wenn sich beispielsweise eindeutig feststellen läßt, daß ein Mord von jemandem verübt wurde, der eine indische Lunkah-Zigarre rauchte, so grenzt das natürlich das Untersuchungsfeld ein. Für das geübte Auge besteht zwischen der schwarzen Asche einer indischen Trichinopoly-Zigarre und der hellen, flockigen Asche des englischen Bird’s-Eye-Tabaks ein ebenso großer Unterschied wie zwischen einem Kohlkopf und einer Kartoffel.«
»Sie haben einen genialen Sinn für Details«, sagte ich.
»Ich messe ihnen die gebührende Bedeutung zu. Hier ist meine Abhandlung über das Lesen von Fußspuren, mit einigen Anmerkungen über die Verwendung von Gips zur Konservierung von Abdrücken. Auch dies hier ist ein interessantes kleines Werk; es behandelt den Einfluß des Berufsstandes auf die Form der Hand 4 und enthält Abbildungen der Hände von Dachdeckern, Seeleuten, Korkschneidern, Schriftsetzern, Webern und Diamantschleifern. Es handelt sich hier um ein Gebiet, das für den wissenschaftlichen Detektiv von großem praktischem Nutzen ist – besonders etwa, wenn es darum geht, eine Leiche zu identifizieren oder das Vorleben eines Kriminellen zu rekonstruieren. Aber ich langweile Sie gewiß mit meinem Hobby.«
»Keineswegs«, widersprach ich mit Nachdruck. »Es interessiert mich brennend, um so mehr, als ich schon die Gelegenheit hatte, Sie derlei in der Praxis anwenden zu sehen. Aber Sie sprachen vorhin von Beobachtung und Deduktion. Das eine bedingt doch wohl das andere, gewissermaßen?«
»Kaum«, antwortete er, lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück und ließ aus seiner Pfeife dicke, bläuliche Rauchkringel aufsteigen. »Zum Beispiel zeigt mir die Beobachtung, daß Sie heute vormittag auf dem Postamt in der Wigmore Street waren, die Deduktion aber sagt mir, daß Sie dort ein Telegramm aufgegeben haben.«
»Stimmt!« sagte ich. »Beides stimmt! Aber ich muß gestehen, daß es mir unerklärlich ist, wie Sie darauf gekommen sind. Es war ein ganz plötzlicher Entschluß meinerseits, und ich habe keinem Menschen gegenüber etwas davon erwähnt.«
»Nichts einfacher als das«, meinte er, über meine Verblüffung schmunzelnd; »es ist so lächerlich einfach, daß sich eine Erklärung eigentlich erübrigt; aber vielleicht kann sie etwas zur Festlegung der Grenzen von Beobachtung und Deduktion beitragen. Meine Beobachtungsgabe teilt mir mit, daß auf dem Rist eines Ihrer Schuhe ein wenig rötliche Erde klebt. Direkt vor dem Postamt in der Wigmore Street ist das Pflaster aufgerissen und ein Erdhaufen aufgeworfen worden, der so liegt, daß man ihn kaum umgehen kann, wenn man ins Postamt will. Die Erde dort hat einen ganz besonderen, rötlichen Farbton, der meines Wissens an keinem anderen Ort der näheren Umgebung zu finden ist. Bis hierher ist alles Beobachtung; der Rest ist Deduktion.«
»Und wie haben Sie dann das Telegramm deduziert?«
»Nun, ich wußte natürlich, daß Sie keinen Brief geschrieben hatten, da ich Ihnen den ganzen Morgen gegenübersaß. Zudem kann ich sehen, daß Sie in Ihrem Schreibtisch, der offensteht, einen ganzen Bogen Briefmarken und ein dickes Bündel Postkarten haben. Wofür also sollten Sie das Postamt betreten, außer um ein Telegramm aufzugeben? Man schließe alle anderen Möglichkeiten aus, und die eine, die übrigbleibt, muß die Wahrheit sein.«
»In diesem Fall trifft das sicherlich zu«, griff ich den Faden nach einigem Nachdenken wieder auf. »Allerdings liegt diese Sache, wie Sie ja selbst sagen, sehr einfach. Würden Sie es als Unverschämtheit empfinden, wenn ich Ihre Theorie auf eine härtere Probe stellte?«
»Ganz im Gegenteil«, antwortete er, »es würde mich davon abhalten, eine zweite Dosis Kokain zu nehmen. Es wird mir ein Vergnügen sein, mich mit jeglichem Problem zu befassen, das Sie mir vorzulegen belieben.«
»Ich habe Sie verschiedentlich sagen hören, es sei kaum möglich, einen Gegenstand täglich in Gebrauch zu haben, ohne Spuren darauf zu hinterlassen, die einem geübten Beobachter Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Besitzers gestatteten. Nun denn, ich habe hier eine Uhr, die erst kürzlich in meinen
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