Das Zeichen der Vier
weißem Band. Hinweise über den Verbleib des besagten Mordecai Smith und seines Bootes
Aurora
sind zu richten an Mrs. Smith, Smiths Landeplatz, oder Baker Street 221b, und werden mit der Summe von fünf Pfund belohnt.
Dies war eindeutig Holmes’ Werk. Die Adresse in der Baker Street war Beweis genug dafür. Ich fand den Einfall äußerst raffiniert, denn wenn die Flüchtigen es lesen sollten, würden sie nichts weiter dahinter vermuten als die ganz natürliche Sorge einer Frau um ihren verschwundenen Ehemann.
Es war ein langer Tag. Jedesmal, wenn es klopfte an der Tür oder wenn ich draußen auf der Straße einen eiligen Schritt hörte, bildete ich mir ein, daß dies entweder Holmes, der zurückkehrte, oder eine Reaktion auf seine Annonce sein müsse. Ich versuchte zu lesen, aber meine Gedanken schweiften immer wieder ab zu unserer seltsamen Suche und dem ungleichen üblen Paar, das wir verfolgten. Gab es vielleicht, so fragte ich mich, einen grundlegenden Fehler in der Gedankenkette meines Freundes? War er das Opfer einer umfassenden Selbsttäuschung? Könnte es sein, daß sein regsamer und zu Spekulationen neigender Geist diese phantastische Theorie auf falschen Voraussetzungen aufgebaut hatte? Zwar hatte er sich meines Wissens noch nie geirrt, aber auch dem scharfsinnigsten Denker konnte einmal ein Fehler unterlaufen. Bei ihm bestand, wie mir schien, gerade durch die Überraffinesse seiner Logik, durch seinen Hang, der subtileren und ausgefalleneren Lösung den Vorzug zu geben, selbst wenn sich eine einfachere und gewöhnlichere aufdrängte, eine gewisse Gefahr, in die Irre zu gehen. Andererseits hatte ich mit eigenen Augen die Indizien gesehen und die Begründungen für all seine Deduktionen gehört. Wenn ich auf die lange Kette merkwürdiger Umstände zurückblickte, von denen zwar manch einer für sich allein genommen wenig bedeutend erschien, die aber alle in dieselbe Richtung wiesen, so mußte ich mir eingestehen, daß, selbst wenn Holmes’ Hypothese falsch sein sollte, die richtige Lösung ebenso ausgefallen und verblüffend sein mußte.
Um drei Uhr nachmittags ertönte ein lautes Klingeln an der Haustür, dann eine gebieterische Stimme im Flur, worauf zu meiner Überraschung kein Geringerer als Mr. Athelney Jones zu mir heraufgeführt wurde. Wie wenig glich er jedoch nun dem schroffen, herrischen Verfechter des gesunden Menschenverstandes, als der er den Fall in Upper Norwood so selbstgewiß übernommen hatte. Seine Miene war niedergeschlagen und sein Auftreten bescheiden, wenn nicht gar kleinlaut.
»Guten Tag, Sir, einen schönen guten Tag«, sagte er. »Mr. Sherlock Holmes ist abwesend, wenn ich recht verstehe?«
»Ja, und ich kann Ihnen nicht mit Bestimmtheit sagen, wann er wieder kommt. Aber wenn Sie hier auf ihn warten möchten. Nehmen Sie doch in dem Sessel da Platz und versuchen Sie eine dieser Zigarren.«
»Vielen Dank, ich habe gar nichts dagegen einzuwenden«, sagte er und wischte sich mit einem großen roten Taschentuch das Gesicht ab.
»Einen Whisky mit Soda?«
»Nun, ein halbes Glas voll, gern. Es ist sehr heiß für diese Jahreszeit; und es gibt so vieles, was mir Kummer und Sorgen bereitet. Sie kennen meine Theorie über diesen Norwood-Fall?«
»Ich erinnere mich, daß Sie eine formuliert haben.«
»Nun, ich bin gezwungen worden, sie zu revidieren. Ich hatte das Netz schon ganz eng um Mr. Sholto zusammengezogen, da plötzlich, plopp, entwischt er mir durch ein Loch in der Mitte. Er war imstande, ein hieb-und stichfestes Alibi vorzulegen. Von dem Zeitpunkt an, da er das Zimmer seines Bruders verlassen hat, gibt es nicht einen einzigen Moment, an dem nicht der eine oder andere ihn gesehen hat. Folglich kann er es nicht gewesen sein, der über Dächer und durch Dachluken geklettert ist. Der Fall ist äußerst verworren, und mein Ruf als Detektiv steht auf dem Spiel. Ich wäre sehr froh um ein wenig Unterstützung.«
»Wir alle brauchen manchmal etwas Hilfe«, sagte ich.
»Ihr Freund, Mr. Sherlock Holmes, ist ein bewundernswerter Mann, Sir«, vertraute er mir mit belegter Stimme an. »Er ist wirklich unübertrefflich. Ich habe diesen jungen Mann schon so manchen Fall angehen sehen, aber bis heute ist mir noch keiner untergekommen, in den er nicht etwas Licht gebracht hätte. Er ist etwas unkonventionell in seinen Methoden und vielleicht ein wenig rasch mit Theorien bei der Hand, aber im großen und ganzen würde ich sagen, daß er einen sehr vielversprechenden Polizeioffizier
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