Das Zeichen des Sieges
lange Nase drehen» wollen. Nach der unbefriedigenden Belagerung und angesichts der Rückkehr nach England, die ihm beschämend erscheinen musste, wollte er die Franzosen schlicht demütigen, indem er ihnen vorführte, dass er ungestraft durch ihr Land ziehen konnte, wie es ihm gerade einfiel.
Diese Demonstration wäre vollkommen nach Plan verlaufen, wenn die Furten bei Blanchetaque nicht bewacht gewesen wären. Um Calais innerhalb von acht Tagen zu erreichen, musste Henry die Somme möglichst schnell überqueren. Doch die Franzosen hatten die Furten abgeriegelt, sodass Henry auf der Suche nach einem anderen Übergang ins Landesinnere gedrängt wurde und aus den geplanten acht Tagen achtzehn wurden (oder sechzehn, die Chronisten äußern sich unerträglich vage darüber, an welchem Tag die Armee aus Harfleur abgerückt ist). Die Verpflegung wurde knapp, und schließlich vereinigten die Franzosen ihre Armee, um die glücklosen Engländer zu stellen.
So kam es, dass Henrys lächerlich kleine Armee am Sankt-Crispins-Tag 1415 auf dem Feld von Agincourt dem Feind gegenüberstand. Ohne es zu ahnen, war diese Armee auf dem Weg in eine Legende gewesen.
Im Jahr 1976, in dem Sir John Keegan sein großartiges Buch Das Antlitz des Krieges veröffentlichte, konnte er über Agincourt schreiben: «Die Ereignisse um die Schlacht von Agincourt sind für den Militärhistoriker erfreulich eindeutig.. Es besteht nicht die übliche erhebliche Unsicherheit über die Anzahl der Beteiligten auf beiden Seiten.»
Leider hat sich diese Überzeugung mittlerweile aufgelöst, wenn nicht für den Verlauf der Schlacht, so doch für die Zahl der Beteiligten. Im Jahr 2005 hat Professor Anne Curry, eine der renommiertesten Wissenschaftlerinnen zur Geschichte des Hundertjährigen Krieges, ihr Buch Agincourt, A New History veröffentlicht, in dem sie nach detaillierten Ausführungen zu dem Schluss kommt, dass die Zahl der Kämpfenden auf beiden Seiten viel näher beieinanderlag, als die Geschichtsschreibung zugab. Die übliche Sichtweise ging davon aus, dass 6000 Engländer etwa 30000 Franzosen gegenüberstanden. Dr. Curry schätzt diese Zahlen nun auf 9000 Engländer und 12000 Franzosen. Wenn dies zutrifft, dann ist der Sieg in dieser Schlacht Hochstapelei, denn sein Ruhm beruht ja hauptsächlich auf dem enormen Ungleichgewicht zwischen den beiden Parteien. Shakespeare hätte kaum das Recht gehabt zu schreiben «wir wen'ge, wir glückliches Häuflein», wenn die Franzosen beinahe ebenso wenige gewesen wären.
Nun hatte Sir John Keegan allerdings recht damit, jedem Versuch, die Zahl der Beteiligten an mittelalterlichen Schlachten zu schätzen, eine «erhebliche Unsicherheit» zu attestieren. Wir sind in der glücklichen Lage, dass eine Reihe von Augenzeugen die Schlacht von Agincourt beschrieben haben, auch haben wir weitere schriftliche Quellen, die wenig später entstanden sind, und dennoch gehen darin die Schätzungen zu den Zahlen sehr weit auseinander. Englische Chronisten veranschlagen die Zahl der französischen Kräfte irgendwo zwischen 60000 und 150000, während in französischen und burgundischen Quellen alles zwischen 8000 und 50000 zu finden ist. Die vertrauenswürdigsten Augenzeugen setzen die französischen Kräfte mit 30000, 36000 und 50000 an, und sie alle tragen zu der erheblichen Unsicherheit bei, die Dr. Curry noch erheblicher macht. Ich selbst beschloss schließlich, mich der allgemein anerkannten Schätzung anzuschließen, dass etwa 6000 Engländer gegen rund 30000 Franzosen kämpften. Das war, wie ich betonen möchte, nicht das Ergebnis intensiver akademischer Studien, sondern eher das Bauchgefühl, dass sich in der zeitgenössischen Reaktion auf diese Schlacht ein ganz außerordentliches Ereignis spiegelt, und das Außerordentlichste an all den Berichten über Agincourt ist nun einmal dieses Missverhältnis zwischen den Zahlen der Beteiligten auf beiden Seiten. Ein englischer Kaplan, der die Schlacht miterlebt hat, schätzte dieses Missverhältnis auf dreißig Franzosen pro Engländer, eine offenkundige Übertreibung, und doch unterstützt sie die überlieferte Sicht, dass es die schiere zahlenmäßige Ungleichheit der beteiligten Parteien war, die das Volk dazu brachte, in Agincourt etwas wahrhaftig Außergewöhnliches zu sehen. Dennoch, ich bin kein Wissenschaftler, und Dr. Currys Schlussfolgerungen abzulehnen scheint mir vermessen.
Dann, noch im gleichen Jahr, in dem Dr. Currys Buch erschien, wurde Juliet Barkers Werk
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