Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
machen.
»Möchtest du deinen Vater nicht noch anrufen?« Ihr Blick nahm erneut diesen wachsamen Ausdruck an.
»Ich hab erst gestern mit ihm telefoniert«, log ich.
»Oh.« Ihr Blick wurde wieder abwesend. »Hast du auch so ein neumodisches Handy?«
»Ja.« Bevor sie mich bitten konnte, es ihr zu zeigen, griff ich nach meinem Rucksack und ging auf die Tür zu.
Obwohl Tante Sophie sich mir gegenüber die ganze Zeit fast schon gleichgültig verhalten hatte, verfiel sie plötzlich in eine eigenartige Herzlichkeit. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und warf einen kurzen missbilligenden Blick auf meine langen Haare. »In welche Richtung geht’s denn?«, fragte sie übertrieben fröhlich.
»Nach Süden.« Dabei hatte ich keine Ahnung, wohin ich gehen würde. »Ich will dort Freunde besuchen.«
»Weißt du, es ist schon merkwürdig.« Sophie zupfte ihre Haare zurecht - was vollkommen überflüssig war, weil sie mit einer dicken Schicht Haarspray überzogen waren. »Deine Mutter hat sich immer etwas gewünscht, wenn sie ein weißes Pferd sah. Sie war wahnsinnig abergläubisch.« Sophies Stimme wurde finster. »Diese lächerliche Hochzeit, die mitten in der Nacht stattfand.«
»Du warst auf ihrer Hochzeit?«
Ohne etwas zu erwidern, drehte sie sich um und ging aus dem Zimmer. Ich stand mit dem Rucksack über der Schulter neben der Tür und fragte mich: Was kommt jetzt? Ist sie senil oder war sie schon immer so merkwürdig? Das kleine beige Esszimmer, das klinisch sauber aussah, wirkte, als würde es nur selten, wenn überhaupt, benutzt. Plötzlich tat sie mir leid.
Sophie kam mit einem in grünes Leder eingebundenen Fotoalbum zurück. »Das hatte ich ja ganz vergessen. Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer.«
Als wir uns auf dem unbequemen Sofa niedergelassen hatten - dieses Mal setzte sie sich neben mich -, schlug sie das Album auf, und meine Mutter und mein Vater blickten mir entgegen. Endlich sah ich das Gesicht meiner Mutter! Alles an ihr strahlte - die großen Augen, das fröhliche Lächeln, die langen, glänzenden rotbraunen Haare. Sie hatte ein weißes
Abendkleid an, das wie ein Feueropal schimmerte. Mein Vater sah in seinem Smoking sehr elegant aus, aber sein Gesicht war verschwommen.
»Wie kann man an seiner Hochzeit nur so ein Kleid anziehen? Wenn sie wenigstens einen Schleier getragen hätte.« Sophie seufzte. »Raff ist gar nicht gut getroffen. Mit den beiden hat es kein glückliches Ende genommen.«
Sie blätterte zur nächsten Seite, auf der ein weiteres Foto von meinen Eltern klebte, das bei Kerzenschein vor einem kleinen Bambushain aufgenommen worden war. »Sie haben im Freien in einem Park in Florida geheiratet.« Die Stimme meiner Tante klang verbittert. »Ganz weit unten in Florida, in einem Ort, der Sarasota heißt. Wir sind mit dem Zug hingefahren.«
»Sarasota?«
»Sie hat ihn wegen des Namens ausgewählt.« Sophie schnalzte mit der Zunge. »Aber so war sie eben.«
Ich blätterte weiter. Meine Mutter sah auf jedem Foto wunderschön und strahlend aus, mein Vater verschwommen. »Sie ist so schön.« Ich musste es einfach sagen.
Sophie ging nicht darauf ein. »Du kannst es haben, wenn du willst.«
Ich wusste erst nicht, was sie meinte, dann schob sie mir das Album zu.
»Danke.« Ich nahm das Buch und sah meine Tante an. Sie hatte einen traurigen Ausdruck in den Augen, der aber, noch während ich sie ansah, wieder wachsam wurde.
»Wie bist du eigentlich unterwegs, kleines Fräulein?«
»Ich wollte den Zug nehmen.« Ich konnte ihr ja schlecht von meinem Plan erzählen, wieder als unsichtbare Anhalterin zu reisen.
Sie nickte zustimmend. »Gut, ich fahre dich zum Bahnhof.«
»Das ist doch nicht nötig«, widersprach ich schnell, aber sie ließ sich nicht davon abhalten.
Ein paar Minuten später stand ich vor dem Haus und sah zu, wie sie umständlich ihr Auto aus der Garage fuhr. »Was ist mit deinem Rosengarten passiert?«, fragte ich, als ich eingestiegen war.
Ihr Gesicht nahm einen verbitterten Ausdruck an. »Es war ein ständiger Kampf gegen die Japankäfer«, antwortete sie. »Ich habe alle möglichen Schädlingsbekämpfungsmittel ausprobiert, aber nichts kam gegen diese Biester an. Sie machten mich so rasend, dass ich irgendwann sogar mit der Schrotflinte auf sie schoss, aber damit machte ich auch die Rosensträucher kaputt. Eines Tages beschloss ich dann, dass es die ganze Mühe nicht wert sei, und zog jeden Rosenstock einzeln an den Wurzeln heraus.«
Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher