Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Mind. Und in der Tat besitzt unser Gehirn Spiegelneuronen, die uns ermöglichen, die spontanen wie auch die geplanten Verhaltensweisen anderer zu kopieren.
Diese neuronale Grundlage der Imitation wurde 1996 von Giacomo Rizzolatti und seinen Mitarbeitern an der Universität Parma entdeckt. Bei einer Untersuchung an Affen fanden sie heraus, dass Neuronen in zwei Regionen des prämotorischen Cortex, des Hirnbereichs, der Bewegungen steuert, selektiv feuern – je nachdem, welche Art von Greif- und Haltbewegung ein Tier ausführt. Einige Neuronen sind bei präzisen Bewegungen aktiver, zum Beispiel wenn der Affe einen kleinen Gegenstand, etwa eine Erdnuss, aufklaubt, während andere Neuronen aktiver werden, wenn der Affe fester zupackt, beispielsweise wenn er mit der ganzen Hand ein Glas Wasser hochhebt. Insgesamt befinden sich im prämotorischen Cortex Neuronen, die eine ganze Palette von Greifbewegungen repräsentieren.
Verblüffenderweise entdeckten Rizzolatti und seine Mitarbeiter, dass etwa 20 Prozent der Neuronen, die aktiv wurden, wenn der Affe eine Erdnuss aufhob, auch reagierten, wenn der Affe sah, wie ein anderer Affe oder ein Forscher eine Erdnuss aufhob. Rizzolatti nannte diese Nervenzellen Spiegelneuronen (Abb. 25-5). Bis zur Entdeckung der Spiegelneuronen hatten die meisten Neurowissenschaftler geglaubt, Wahrnehmen und Handeln müssten in verschiedenen Gehirnsystemen angesiedelt sein.
Abb. 25-5.
Das Schaubild zeigt, dass Spiegelneuronen auf die gleiche Weise feuern, wenn ein Affe nach einem Gegenstand greift und wenn der Affe nur beobachtet, dass jemand anderer nach einem Gegenstand greift.
Spiegelneuronen im prämotorischen Cortex empfangen Informationen vom oberen temporalen Sulcus, der Region, die auf biologische Bewegungen reagiert. Einige Spiegelneuronen werden sogar auf einen sensorischen Reiz hin aktiv, der eine Handlung nur vermuten lässt, beispielsweise wenn die Hand eines Forschers hinter einer Trennwand verschwindet, hinter der sich, wie der Affe weiß, Futter befindet. Diese Entdeckung offenbarte, dass einige Neuronen im motorischen System der oberen Ebene kognitive Fähigkeiten besitzen: Sie reagieren nicht nur auf sensorischen Input, sondern erfassen auch die sensorischen Zusammenhänge beobachteter Ereignisse. Mithilfe von funktioneller MRT haben Rizzolatti und in jüngerer Zeit Rebecca Saxe, Nancy Kanwisher und ihre Mitarbeiter am MIT festgestellt, dass einige Areale in unserem prämotorischen Cortex dann feuern, wenn wir uns bewegen, und auch, wenn wir nur sehen, dass sich eine andere Person bewegt. Das lässt darauf schließen, dass Menschen genau wie Affen Spiegelneuronen besitzen.
Die drei Hirnregionen, die beim Menschen daran beteiligt sind, die Handlungen anderer Personen zu repräsentieren und die Absichten hinter diesen Handlungen zu analysieren, sind in Abb. 25-6 dargestellt. Der obere temporale Sulcus (gelb) sendet eine visuelle Repräsentation biologischer Bewegungen an zwei Regionen der Großhirnrinde, die man für unser Spiegelneuronensystem hält und die bei der Repräsentation und Imitation der Handlungen anderer eine Rolle spielen. Diese beiden Regionen liegen im Parietallappen (lila) und Frontallappen (rot) der Hirnrinde. Sie reagieren identisch, wenn wir uns bewegen und wenn wir eine andere Person beim Ausführen der gleichen Bewegung beobachten; dies legt die Vermutung nahe, dass sie zur Repräsentation der Handlungen anderer mit einer Art von Simulation arbeiten. Anders gesagt: Ein und dieselben Neuronen, deren Aktivität unsere peripheren Nerven und Muskeln in Aktion versetzen, feuern auch, wenn sie visuelle Informationen über die Handlungen einer anderen Person erhalten.
Abb. 25-6
Interessanterweise reagieren die Neuronen in diesen drei Hirnregionen auch auf die Geräusche , die die Handlungen anderer Personen verursachen. Daraus lässt sich schließen, dass die grundlegenden sozialen Funktionen dieser Regionen mindestens zwei sensorische Systeme betreffen – das Sehsystem und das Hörsystem.
Obwohl die Neurowissenschaft bisher überwiegend versucht hat, die Aufgabe jedes einzelnen Systems im sozialen Gehirn zu entschlüsseln, sollte man die verschiedenen Teilsysteme als Komponenten eines Netzwerks verknüpfter Regionen betrachten, die in alle Richtungen kommunizieren, um immer ausgefeiltere Meisterleistungen sozialer Kognition zu vollbringen. So arbeiten der obere temporale Sulcus und die Spiegelneuronen möglicherweise zusammen, um biologischen Bewegungen
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