Das Zeitalter der Fuenf 02 Magier
würdevoll zu erscheinen, obwohl sie sich ihrer großen Hände und Füße nur allzu bewusst war.
»Ich habe mich nur dank Imenja und Reivan wieder erholt«, erklärte sie, als sie neben ihn trat. »Und dank dir, weil du mir erlaubt hast hierzubleiben.«
Er sah ihr in die Augen und nickte mit ernster Miene. »Ich muss mich für die schlechte Behandlung entschuldigen, die du erlitten hast, bevor Imenja dich fand.«
Sie runzelte die Stirn. »Das war nicht deine Schuld.«
»Ah, aber ich trage eine gewisse Verantwortung für alles, was Besuchern in meinem Land widerfährt. Wenn unsere Gesetze zum Schutz gegen Verbrechen versagen, dann haben wir ebenfalls versagt.«
Ihr Vater würde wahrscheinlich genauso empfinden, wenn sein Volk einem Besucher ohne Grund Schaden zufügte - vor allem, wenn es sich um einen wichtigen Besucher handelte. Sie kam zu dem Schluss, dass sie diesen Mann mochte. Er war freundlich und behandelte sie mit Respekt, als sei sie eine Erwachsene.
»Dann danke ich dir für deine Entschuldigung«, erwiderte sie und überlegte dabei, wie erwachsen sie wohl klang. »Was möchtest du mir zeigen?«, fragte sie.
Er deutete auf den Boden. »Sei bitte nicht gekränkt; dies hier entspringt der Fantasie eines Künstlers, der dein Volk nie gesehen hat.«
Sie blickte hinab. Sie standen auf einem Bild des Meeres, von oben betrachtet und so windstill, dass man bis auf den Grund schauen konnte. Fische füllten den blauen Raum, und einige von ihnen schwammen auf der Seite, um ihre Farben zur Schau zu stellen. Am Rand des Ufers wuchsen nur sehr ungenau abgebildete Korallen und Gräser. Zu ihren Füßen war eine Landgeherin zu sehen, die einen Fischschwanz anstelle von Beinen hatte. Ihr Haar war von einer hellgelben Farbe und umspielte ihren Körper, um ihre Brüste und ihre Lenden zu verbergen.
So stellen sie sich uns also vor? Ein Kichern brach aus ihr hervor, und sie schlug hastig eine Hand auf den Mund.
Nekaun lachte leise. »Ja, es ist sehr töricht. Nur wenige Landgeher haben jemals Elai gesehen. Sie wissen lediglich, dass ihr im Meer lebt, daher denken sie, ihr wärt halb Fisch, halb Mensch.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist der Grund, warum der Mann, der dich gekauft hat, dich so behandelt hat, als seist du ein Tier.«
Sie nickte, obwohl sie nicht verstand, warum diese Zeichnung jemanden auf die Idee bringen konnte, eine andere Person sei kein Mensch. Wenn sie Finger hatten, Kleidung trugen und reden konnten, mussten sie einfach Menschen sein. Sie jedenfalls hatte niemals einen Landgeher für ein Tier gehalten.
Nekaun machte einen Schritt zur Seite. »Komm mit. Ich möchte dir noch etwas anderes zeigen.«
Imi ging neben ihm her zu einer Tür in einer der Wände. Imenja folgte ihnen mit einigen Schritten Abstand.
»Die Bewohner anderer Länder haben auch eigenartige Vorstellungen, was mein Volk betrifft«, erklärte er ihr. »Sie sehen, dass wir einige Sklaven halten, daher vermuten sie, wir würden jeden versklaven, den wir zu unterwerfen wünschen. Aber wir versklaven nur Verbrecher. Die Versklavung eines Unschuldigen ist ein schwerwiegendes Vergehen. Die Strafe dafür ist Sklaverei. Der Mann, der dich gekauft hat, stammte nicht aus diesem Land, aber er kannte das Gesetz.«
»Ist es das, was mit ihm geschehen ist? Ist er versklavt worden?«
»Ja.«
Sie nickte. Ihr Vater hätte diese Regelung gebilligt.
»Wir haben noch andere Sitten, die Fremdländer missverstehen. Einige unserer Riten verlangen von uns, die Privatsphäre der Teilnehmer zu respektieren. Weil wir diese Geheimnisse hüten, denken Fremdländer, die Riten müssten von einer abstoßenden oder unmoralischen Art sein.« Er sah sie mit bekümmerter Miene an. »Vergiss das nicht, falls du von anderen Landgehern solche Gerüchte über uns zu hören bekommen solltest.«
Imi nickte. Wenn andere Landgeher ihr erzählten, Nekauns Volk sei schlecht, würde sie ihnen klarmachen, dass das Gegenteil zutraf.
Sie gingen durch die Tür in einen schlichteren Raum. Die Bilder an den Wänden zeigten Gruppen von Menschen, die jeweils aus einem Mann, einer Frau und einem Kind bestanden. Alle trugen unterschiedliche Kleidung und hatten verschiedene Haut- und Haarfarben. Eine Familie hatte große, gefiederte Flügel. Plötzlich verstand sie, warum die Siyee in dem anderen Raum ihr so merkwürdig erschienen waren. Sie legte eine Hand auf den Mund.
»Ja«, sagte Nekaun, obwohl sie diesmal keinen Laut von sich gegeben hatte. »Wir haben erst vor kurzem
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