Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
fragten, ob sie ihn kennen, zuckten sie nur unentschieden die Schultern. Ich erzählte von dem Anruf, den ich bekommen hatte, und eins der Mädchen sagte, vielleicht meinte die Anruferin Jim, aber der hätte nur zwei Wochen ausgeholfen und sei jetzt wieder weg.
Ich bat sie, mir alles zu erzählen, was sie über Jim wusste. Sie sagte, sie hätte sich nur einmal ein bisschen länger mit ihm unterhalten, sonst hatten sie immer unterschiedliche Schichten. Was sie wusste: Mitte dreißig, stammt aus Fife, gerade arbeitslos und auf der Suche nach Gelegenheitsjobs, um genug Geld zusammenzukratzen, damit er ins Ausland gehen kann. Er träumt davon, in die USA auszuwandern. Nach New York, das hatte sich das Mädchen gemerkt, weil sonst immer alle nach Kalifornien wollen, meinte sie. In New York gäbe es Jobs für ihn, aber was er da genau machen wollte, das wusste sie nicht mehr. Vielleicht hätte er es auch gar nicht gesagt. Einfach nur von Jobs geredet. Hinter der Theke sei nun mal viel los, da hätte man nicht die Zeit zum Quatschen, und vor allem würde sie sich auch nicht immer alles merken können, was ihr die Leute aufs Ohr drückten, ob es nun Gäste oder Kollegen waren.
Es muss Sean gewesen sein! Ich hatte ihm einmal erzählt, dass sie bei Steinway in Queens immer wieder Handwerker suchen. Tischler auch, natürlich. Er hat sich oft von meiner Zeit dort erzählen lassen. Zwei Jahre hatte ich in den Werkstätten gearbeitet, bevor ich einzelne Pianisten oder Konzerthallen betreuen durfte. Ich habe schnell Karriere gemacht. Ich hätte dort bleiben sollen.
Warum nennt er sich Jim?
Ich zeigte ihnen noch mal das Foto, und jetzt sagte die eine: Ja, kann schon sein, aber irgendwie sah er auch anders aus, die Haare waren ganz anders, und er war viel dünner. Und die andere sagte: Ich weiß nicht, ich bin sehr schlecht mit so was, aber ich glaube nicht, dass er es ist. Sie hatte ihn auch nur zwei, drei Mal beim Schichtwechsel gesehen.
Ich durfte die Flyer im Pub aufhängen. Ich verteilte sie unter den Gästen. Ein junger Typ um die zwanzig sagte zu mir: »Nimm dir doch nen neuen Kerl, warum willst du den zurück? Der knallt garantiert längst ne andere. Also such dir nen Neuen.« Ich starrte ihn nur an und wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, als Pete dazwischen ging und dem Typen einen Stoß versetzte. Der Junge fiel gegen einen Tisch, der Tisch fiel um, Leute sprangen auf und schrien. Ich packte Pete am Arm und zog ihn auf die Straße.
»Was war das denn?«
Er schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid. Ich wollte das nicht.«
So hatte ich Pete noch nie erlebt. Der ruhige, nette, zurückhaltende Pete. Aber bei uns allen lagen die Nerven blank …
Wir zogen nach ein paar Minuten Durchatmen weiter in die umliegenden Pubs, verliefen uns zwischendurch, fuhren mit dem Taxi durch die schrille, bunt blinkende Weihnachtsbeleuchtung zum Bahnhof, klapperten dort die Pubs ab, bis wir keine Flyer mehr hatten. Da erst merkte ich, wie schlecht es Pete ging. Pete spricht nicht viel, und er lässt die anderen nicht merken, wenn es ihm nicht gut geht. Aber es war nicht mehr zu übersehen. Er hatte tiefe, schwarze Ringe unter den Augen, die Haut war fast weiß, und er zitterte. Kälte und Erschöpfung. Was für ein Wahnsinn, mit einem fast siebzigjährigen Mann, der sich seine Gesundheit bis in die achtziger Jahre hinein als Minenarbeiter ruiniert hat, durch Glasgow zu ziehen. Es war nicht nur eiskalt, es blies auch noch ein feuchter Westwind, und wir waren an diesem Abend wahrscheinlich mehr herumgelaufen, als Pete in einem Monat zu Fuß zurücklegte.
Wir bekamen noch den letzten Zug nach Edinburgh, und ich begleitete Pete nach Hause. Er wohnt draußen in Portobello, sein Haus liegt an der Nachtbusroute. Wir saßen eine Weile in der Küche, ich machte ihm Tee.
»Glaubst du, dass dieser Jim … dass es Sean ist?«, fragte er mich.
»Es spricht eine Menge dafür.«
»Und wie finden wir ihn jetzt?«
»Ich fahre morgen wieder nach Glasgow und suche weiter. Meine Werkstatt ist noch bis zum 12. Januar für Kundschaft geschlossen, und Termine habe ich in der Zeit auch keine. Vielleicht gibt es mal einen Notfall … verstimmter Flügel vorm Familienkonzert … verklemmte Pedale … Nein, ich habe Zeit, um ihn zu suchen.«
»Du willst doch über Weihnachten wegfahren?«
Stimmt, das hatte ich ihm erzählt. »Nur ein paar Tage. Ich komme zum Jahreswechsel zurück.«
Er sah erleichtert aus. »Bestimmt meldet sich
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