Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
lange dauern. Er brauchte Schuhe. Er könnte seine Schuhe noch einmal anziehen, nur um die Tabletten zu holen. Wenn er es über sich bringen konnte, die Schuhe anzuziehen.
Schuhe mit Lillians Blut.
Im Wagen Tabletten, die ihm halfen, das alles durchzustehen.
Aber Schuhe mit Lillians Blut …
Die zweite Tablette dämpfte ihn noch mehr, sodass er sich seiner Angst und der Aufregung etwas entfernter bewusst war. Er zog die Schuhe aus, stellte sie neben die Treppe, legte seinen Mantel darauf, ging die Treppe hinauf, zurück ins Kinderzimmer. Ihm fiel ein, was sie am Telefon gesagt hatte: Sean. War das der Name ihres Mörders? Er konnte sich nicht richtig konzentrieren, weil er langsam müde wurde. William spielte jetzt mit einem Teddy und machte schmatzende Geräusche mit seinen Lippen. Ob sich Cedric einfach auf das Sofa legen konnte, bis die Polizei kam? Es war ein großes, weißes Sofa, überladen mit Kissen, Kinderspielzeug und Stofftieren. Daneben ein Schaukelpferd, das einmal ihm gehört hatte. Eine Holzeisenbahn. Noch mehr Stofftiere, alte und neue. Lillian hatte nicht nur die Londoner Wohnung, sondern auch noch den Speicher leergeräumt, in dem die Sachen aus seiner Kindheit gelagert waren. Er fragte sich, ob sie die Finger von den Erinnerungen an seine Mutter gelassen hatte. Ob es diese Dinge noch gab. Er starrte auf das Sofa, sehnte sich danach, sich zurückzulehnen, auszuruhen, konnte sich aber nicht überwinden, weil er daran denken musste, dass Lillian dort gesessen hatte. Die Kissen, das Spielzeug berührt hatte.
Und dann klirrte Glas. Keine Schneeflocken, die auf die Frontscheibe fielen. Ein dicker Ast hatte das alte Fenster zerschlagen. Eisige Luft blies in das Zimmer.
Cedric sah nach William und sagte: »Wir gehen besser raus, du wirst sonst krank.« Aber der kleine Junge saß friedlich in seinem Bettchen und ließ den Teddy über seine Beine hopsen. Erst, als ein kalter Windstoß über sein Haar wehte, sah der Kleine verwundert auf und drehte seinen Kopf in alle Richtungen.
»William?«, rief Cedric. William lachte seinen Teddy an. »William!« Der Junge spielte weiter.
Verstört sah er das Kind an, starrte so lange, bis es nach einem weiteren Windstoß endlich doch den Kopf hob und in Richtung des kaputten Fensters sah. Dann drehte es sich zu Cedric und zeigte auf das Fenster.
Und er sagte immer noch keinen Ton.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Freitag, 12. 12. 2003
Die Polizei war bei mir. Sie kamen in die Werkstatt. Angeblich haben sie versucht, mich anzurufen, um sich anzukündigen. Ich hatte gerade einen Kunden da. Der ältere von den beiden Polizisten stellte sich und seinen Kollegen vor (ich habe die Namen wieder vergessen, aber ein Sergeant und ein Constable, glaube ich) und sagte: »Philippa Murray? Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen, Sie wissen, worum es geht?« Und schon hatte ich keine Kundschaft mehr.
Sie wollten wissen, wer der Mann gewesen war.
»Ein Kunde«, sagte ich.
»Hat der einen Namen?« Der Ältere sprach mit mir, von dem anderen hörte ich kein Wort. Er schlenderte nur herum und schaute in jede Ecke, ohne etwas anzufassen. Er könnte in meinem Alter gewesen sein, vielleicht auch zwei, drei Jahre jünger. Sein Kollege ist schätzungsweise Mitte dreißig.
»Professor McLean.«
»Und Sie stimmen sein Klavier?«
» Alle seine Klaviere. Und auch die Flügel.«
Das Gesicht des Sergeants wurde für eine Sekunde komisch, aber dann traute er sich bei allem Machogetue doch nicht nachzufragen, sondern nickte nur, als wüsste er genau, worum es geht. Ich erlöste ihn: »An der Uni.«
»Ah. Also, wir sind hier wegen Sean Butler. Ihr Freund, richtig?«
Ich nickte und setzte mich auf eine Klavierbank, weil ich merkte, wie meine Knie weich wurden. Hatten sie ihn gefunden? Der Gedanke kam mir erst in diesem Moment.
»Ist er … Ist ihm etwas zugestoßen?«, fragte ich.
»Glauben Sie das?«
Da wusste ich, dass sie nicht hier waren, um mir die Nachricht von Seans Tod zu überbringen. Ich sagte nichts.
»Sein Vater hat ihn als vermisst gemeldet. Er sagt, Sie hätten ihm mitgeteilt, dass Sean bereits seit dem 9. verschwunden ist, richtig?«
Ich nickte.
»Warum sind Sie nicht zu uns gekommen?«
»Ich war bei der Polizei.« Ich erzählte es ihm.
»Sie hätten gleich eine Vermisstenanzeige aufgeben können. Falls ihm wirklich was zugestoßen ist, haben wir wertvolle Zeit verloren. Wir müssen aber zunächst prüfen, ob es wirklich Gründe gibt, sich Sorgen zu
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