Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
übereinandergestapelt, Bilder standen gegen die Wand gelehnt am Boden, zu viele Lampen, Uhren, Spiegel, Stühle, Kommoden, zu viel von allem. Als hätte sie die Dinge gehortet, um sie vor ihm zu verstecken.
Er trat näher heran, beugte sich über sie, streckte seine Hand nach ihrem Gesicht aus und schob das blonde Haar zur Seite.
Zunächst sah er nur eine weitere Schicht ihres Haars, doch diese klebte an Lillians Kopf fest.
War sie es überhaupt?
Er sah die blutige Masse, aus der ein Auge hervortrat, gleich unter dem frei liegenden Stück Knochen, wo die Braue hätte sein müssen. Nase und Mund waren verschoben, oder es war das Blut, das die Perspektive verzerrte. Er war längst zurückgewichen, stand längst gegen den Kamin gepresst, das blonde Haar verdeckte wieder, was er gerade gesehen hatte, und doch sah er es noch immer vor sich.
»Lillian«, sagte er. Natürlich war sie es, wer sonst. Er wandte den Blick ab, drehte sich weg, sah auf die Steinkante des Kamins. An ihr klebte Blut. Auf dem Boden war Blut. Er war hineingetreten, hatte sich dagegen gelehnt, hatte ihr Blut nun an den Schuhen und am Mantel. Cedric rannte aus dem Wohnzimmer, schaffte es bis an den Fuß der Treppe, danach keinen Zentimeter weiter. Er ließ sich auf die unterste Stufe fallen und weinte.
»Sir, wir werden eine Weile brauchen«, sagte ihm die Frau von der Notrufzentrale, nachdem er alles erklärt, alles beantwortet hatte.
»Ja, das Wetter«, sagte er.
»Bitte rühren Sie nichts an.«
»Das sagten Sie mir schon. Ich habe bereits alles berührt.«
»Ist noch jemand bei Ihnen?«
»Ich bin alleine.«
»Können Sie abschließen und bei Nachbarn warten? Ist das möglich?«
»Es gibt keine Nachbarn.«
»Und Sie sind sicher, dass niemand mehr im Haus ist?«
»Ich werde hier warten, ich werde nichts weiter anrühren«, sagte er ungeduldig. Er beendete das Gespräch und sah auf seine Füße. Die Schuhe hatte er neben die Treppe gestellt, den Mantel zusammengefaltet und daraufgelegt. Man würde ihm die Sachen abnehmen, um sie zu untersuchen. Man würde sie ihm dann vielleicht zurückgeben, aber er könnte sie nie wieder tragen …
Und dann fiel es ihm ein: das hell erleuchtete Fenster im ersten Stock.
Er ging hinauf. Die Tür zum Kinderzimmer stand offen, und er sah William in dessen Bett. Es war das erste Mal, dass er ihn sah.
William saß mit dem Rücken zur Tür und schien still zu spielen. Cedric klopfte an den Türrahmen, aber das Kind reagierte nicht. Er ging auf sein Bettchen zu und sagte: »William?«
Erst, als er aus Versehen mit dem Fuß gegen das Bett stieß, drehte sich das Kind zu ihm um. Lachte ihn an. Streckte ihm die Puppe entgegen, mit der es gespielt hatte. William sah aus wie sein Vater. Stolz wäre er gewesen, wenn er das noch hätte erleben können, dachte Cedric. Wenigstens einer seiner Söhne sah ihm ähnlich. Dieselben Augen, dieselben Gesichtszüge. Derselbe Vorname.
»William, musst du nicht schlafen?«, fragte Cedric. Er brachte es nicht über sich, die Puppe entgegenzunehmen. Oder das Kind anzufassen. Obwohl er immer noch Handschuhe trug. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, als William sich aufrichtete und mit der Puppe bis an die Gitterstäbe des Bettchens kam.
»Gleich kommt jemand, der sich um dich kümmert«, sagte Cedric und merkte selbst, wie fremd er klang.
William schwenkte die Puppe und sah verunsichert aus.
»Es kommt bestimmt jemand«, sagte Cedric, diesmal ganz langsam und deutlich, und wunderte sich, warum das Kind nicht reagierte. Er hatte keine Ahnung, ab wann Kinder lernten zu sprechen. Anderthalb schien ihm aber das richtige Alter zu sein, um Verständnis zu signalisieren. Vielleicht irrte er sich auch.
Der Junge gab es auf, Cedric die Puppe hinzuhalten. Er ließ sie auf den Boden vor dem Gitterbett fallen und verzog das Gesicht.
»Ich bin sicher, dass es nicht mehr lange dauert, bis jemand kommt und mit dir spielt«, sagte Cedric und verfluchte sich dafür, das Fläschchen mit den Tabletten im Wagen gelassen zu haben. Seine Hände fingen an zu zittern, sein Herz schlug zu schnell, und das Rauschen in den Ohren wurde lauter.
Aber das Rauschen war nicht nur in seinen Ohren. Er hörte wirklich den Wind, wie er draußen aufheulte. Ostwind. Äste schlugen gegen das Fenster. Cedric ging auf den Flur und sah in die anderen Zimmer. Überall war es dunkel, und es schien sich niemand mehr im Haus aufzuhalten. Jedenfalls nicht hier oben. Er musste zum Wagen. Es würde nicht
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