Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ziel ist der Weg

Das Ziel ist der Weg

Titel: Das Ziel ist der Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hagenmeyer
Vom Netzwerk:
von Vach vereinfachte ihn vor Jahrhunderten in seinem Pilgerführer zu »Castel Fritz«.
    Aus den Kirchen Santa María del Manzano und San Juan treten die Pilger wieder in das eindringliche Licht des Südens, steigen auf die Hochebene und wandern dann über Feld- und Pistenwege weiter durch die graugelb gefleckte Leere der Meseta bis zur restaurierten Ruine des Zisterzienserhospizes Ermita de San Nicolas. Sie überqueren auf der mittelalterlichen Brücke den Río Pisuerga, gehen lange auf Pistenstraßen, passieren das Dorf Itero de la Vega und gelangen sodann nach Boadilla del Camino zu dem mit Jakobsmuscheln reich verzierten gotischen Pranger vor der Kirche Santa María. Weiter pilgern sie durch die Tierra de Campos, die vollkommen flache und eintönige Landschaft in der Meseta, bis sie den großen kastilischen Kanal kurz vor Frómista überqueren. Die Iglesia San Martin in Frómista aus dem 11. Jahrhundert gilt als Vorzeigekirche früher spanischer Romanik. Klare Formen, perfekte Proportionen, reich verzierte Bildhauerarbeiten außerhalb und innerhalb der Kirche. Wenn sie geöffnet ist, verweilen Pilger einen Moment in ihr, geschützt vor der Hitze und der sengenden Sonne.
    Dann zieht es sie weiter durch die Ebene auf den eigens für Pilger angelegten Kieswegen bis nach Villalcázar de Sirga mit seiner überdimensionalen gotischen Kirche Santa María la Blanca, die inmitten weniger Häuser mächtig emporragt. Sie treten aus dem kühlen Inneren durch die große figurengeschmückte Vorhalle wieder ins gleißende Licht der Meseta, wandern weiter auf den Kieswegen bis nach Carrión de los Condes. Sie durchqueren den Ort, vorbei an den romanischen Kirchen Santa María del Camino und Santiago. Es sollen die einzigen Erhebungen für viele Kilometer bleiben. Bis nach Calzadilla de la Cueza wandern sie in grenzenlosem Raum, ohne erfassen zu können, wie schnell und ob sie sich überhaupt vorwärtsbewegen.
    Weiter führt der Weg durch die Leere bis nach Sahagún mit seiner im Mudéjar-Stil aus Backsteinen erbauten Kirche San Lorenzo. Die Pilger überqueren den Río Cea und wandern durch nicht enden wollende Weiten, entweder auf dem für Pilger angelegten Weg über El Burgo Ranero und Reliegos nach Mansilla de las Mulas — auf einer Teilstrecke wurden sogar Platanen in regelmäßigen Abständen gepflanzt, die Schatten spenden sollen — , oder sie gelangen nach Mansilla auf der in absoluter Einsamkeit gelegenen Römerstraße über Calzadilla de los Hermanillos, vor ihnen nur den Himmel.
    In beiden Fällen betreten sie die Altstadt von Mansilla durch den Stadtbogen Santa María. Auf der mittelalterlichen Brücke überqueren sie sodann den Río Esla, gehen weiter durch die Hügel bis nach Léon, eine an historischen Bauten überreiche Stadt. Die Pilger gelangen vor das Kloster San Marcos, ehemals Ordenshaus der Santiagoritter und Pilgerhospiz. Sie atmen die Atmosphäre früher Romanik in der Real Basilica San Isidoro mit ihren Deckenfresken. Wenn sie jedoch die in französischer Gotik erbaute Kathedrale Santa María la Regia betreten, durchflutet sie das Licht der Bischofskirche, die nur aus farbigen Fensterflächen zu bestehen scheint. Es erfüllt sie und rührt in ihrer inneren Leere an die Schatten, denen sie auf der Meseta begegnet sind.

    »Castrojeriz!« Joan spricht es mir noch einmal vor: »Cas-tro-je-riz!« Meine Zunge hat bereits einen Knoten: Die Kombination aus rollendem »r«, dem gehauchten Gaumenlaut »j« und dem zischenden »z« vorne an den Schneidezähnen kriegt sie einfach nicht hin. Wir sitzen bei einem Bier um den Tisch vor einem Meson im Ort mit dem unaussprechlichen Namen. Joan, der junge grauhaarige Katalane, strahlt Sensibilität und Stolz zugleich aus; in Estella waren wir uns das erste Mal begegnet. Dazu Christian, mein französischer Begleiter, und Hans aus Marktredwitz. Dieser begleitet uns seit Puente la Reina, mit seinen 63 Jahren läuft er ausdauernd ein erstaunlich hohes Tempo. In seinen Augen liegt die Ruhe, Güte und Sicherheit eines an seelischen Werten orientierten Lebenswegs. Aus Burgos sind wir in der Nacht aufgebrochen, bis uns goldgelb die Sonne in Rabé de las Calzadas eingeholt hat: Von der Brunnenoberfläche reflektierte das Licht in unsere Gesichter. Wie immer ging jeder seinen eigenen Weg, sobald das Tageslicht es gestattete. »Cas-tro-je-riz!«

    Auf der kargen Hochebene fühle ich mich plötzlich ganz klein: In einer Welt, die nur aus einem gleichmäßig blauen Himmel, einem

Weitere Kostenlose Bücher