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Das Ziel ist der Weg

Das Ziel ist der Weg

Titel: Das Ziel ist der Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hagenmeyer
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schnurgeraden Weg und einem noch geraderen Horizont besteht, zählt nichts. Ich bin durch halb Europa gelaufen. Bedeutungslos. Dazu die Sonne: wahlweise heiß, sengend heiß oder glutheiß.

    Im Gehen in dieser Leere sind irgendwann alle Verrichtungen möglich: den Rucksack aus- und einräumen, trinken, essen, lesen. Als ich vorhin aus dem Refugio von Villalcázar de Sirga in die Abendluft trat, fühlte ich mich fast nackt ohne meine Pilgerutensilien. Pilgerstab und Rucksack sind Körperteile von mir geworden: Ohne sie gehe ich unsicher schwankend wie ein Seemann an Land.

    Gott sei Dank muss ich mir das nicht am Tag anschauen! In Villalcázar de Sirga sind wir um fünf Uhr aufgebrochen. Schon seit Frómista laufe ich nun auf der für Pilger angelegten Straße. Beschottert. Bescheuert. Bescheiden. Der weiße Schotterbelag kommt in seiner Unfreundlichkeit nur ganz knapp hinter Asphalt, dem schlimmsten aller Untergründe für die Füße. Immer wieder Begrenzungspfähle aus Beton in der Mitte der Kiesstraße, um Fahrzeuge von der »Pilgerautobahn« fernzuhalten. An einigen wenigen klebt noch die Keramikmuschel, die dem ansonsten so nüchternen Wegprojekt wohl etwas Wärme verleihen soll. Die Pilger laufen nun zwar nicht mehr wie zuvor auf der von Autos befahrenen Asphaltstraße, aber die Monotonie ist durch die Künstlichkeit noch größer geworden. Es ist immer noch dunkel, als wir in Carrión de los Condes eintreffen, wenigstens ist uns der Anblick eines Teils des angelegten Weges erspart geblieben. Ab hier geht jeder allein. Der Tag wird einer der härtesten, die ich bisher auf dem Jakobsweg erlebt habe: Meseta pur.

    Leere________________________Leere
    WW
    WggW
    WeggeW
    WeeggeeW
    WeeeggeeeW
    WeeeeggeeeeW
    WeeeeeggeeeeeW
    WeeeeeeggeeeeeeW
    WeeeeeeeggeeeeeeeW
    WeeeeeeeeggeeeeeeeeW

    Hinter Carrión laufe ich mit dem Lineal gezogene 17 Kilometer durch die öde Landschaft. Nichts, woran sich mein Auge festhalten könnte, nichts, was sich bewegt, obwohl ich mich doch bewege. Oder bewege ich mich nicht? Irgendwann ein Kaffee, eine Tortilla in Calzadilla. Und weitere 22 Kilometer geradeaus durch das Nichts. Aus dem Nichts wird ein heißes Nichts, die Sonne glüht wie ein Grill vom sonst bewegungslosen blauen Himmel, der Rest bleibt gleich. Das Einzige, was ich noch zur Orientierung habe, ist der Rhythmus meiner Schritte, mein Atem, mein Pulsschlag. Mein Körper heizt sich auf, die Lufttemperatur steigt und steigt. Meine Wasserflasche ist leer. Sahagún will und will nicht kommen. Irgendwann ist alles egal. Das Einzige, was zählt, ist der nächste Schritt.

    Abends in Sahagún läuft plötzlich Stephanie in das Refugio ein, eine Amerikanerin, der ich seit Roncesvalles punktweise auf dem Weg begegne. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Sie geht seit geraumer Zeit mit einer Sehnenscheidenentzündung im rechten Bein. Mir ist unerklärlich, wie sie die Schmerzen aushält, noch dazu in der Meseta.

    Die Tür ist zu! Fünf Uhr im Refugio in Sahagún, das in einer alten Kirche untergebracht ist. Früh bin ich aufgestanden, habe mich an den noch tief schlafenden anderen Pilgern vorbeigeschlichen, meinen am Vorabend gepackten Rucksack in der einen und meinen Schlafsack in der anderen Hand. Im Küchenbereich verständigen Christian, Hans und ich uns mit Handzeichen, während wir einen Tee machen und die Schlafsäcke lautlos verstauen. Die Vorfreude auf die kühle Morgenluft steht den anderen beiden ins Gesicht geschrieben, mir wahrscheinlich auch. Leise die Treppe hinunter und — die Tür ist zu! Abgeschlossen! Wir warten in meditativer Dunkelheit, bis sich um Viertel vor sieben die Tür von außen öffnet: Zwei Pilger hatten die Nacht durchgefeiert und den Schlüssel mitgenommen. Jedem seinen Pilgerweg.

    Nach Sahagún wird es noch schlimmer: Zusätzlich zum künstlichen Schotterweg wurden in einem weiteren Projekt europäische Fördergelder dazu benutzt, im regelmäßigen Abstand von ungefähr neun Metern Platanen zu pflanzen. Wahrscheinlich sollen sie in ferner Zukunft einmal Schatten spenden. Im Augenblick sorgen sie wegen ihrer mäßig belaubten Baumkronen für ein monotones Erlebnis der besonderen Art. Der absolut regelmäßige Rhythmus — Baum, neun Schritte, Baum, neun Schritte, Baum, neun Schritte, Baum, neun Schritte, Baum, neun Schritte, Baum, neun Schritte, Baum — kann einen in den Wahnsinn treiben.

    In Mansilla ist René erneut aufgetaucht, er scheint nicht alles zu Fuß zu gehen. Ich freue mich, ihn

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